Chasm City
Bett gebunden, ein breiter Reifen lag um seine Taille und seine Beine, zwei kleinere Reifen hielten seine Oberarme fest. Den einen Unterarm konnte er bis zum Gesicht heben, der andere hatte natürlich in der Waffe geendet, mit der er auf Titus eingestochen hatte. Diese Waffe war verschwunden, nun endete der Unterarm des Cyborg in einem sauber vernähten Stumpf. Man hatte ihn nach weiteren versteckten Waffen durchsucht, aber nichts gefunden außer den Implantaten, mit denen ihn seine Schöpfer für ihre Zwecke manipuliert hatten.
Eigentlich war die Partei, die den Infiltrator geschickt hatte, an Phantasielosigkeit nicht zu übertreffen, dachte Sky. Sie hatte viel zu viel Wert darauf gelegt, dass er das Schiff sabotierte, obwohl ein schönes, leicht übertragbares Virus genauso wirksam gewesen wäre. Vielleicht hätte es den Schläfern nicht direkt etwas anhaben können, aber ohne eine lebende Besatzung hätten sie kaum eine Chance gehabt, ihr Ziel zu erreichen.
Das sollte allerdings nicht heißen, dass der Chimäre nicht noch nützlich werden konnte.
Sky fand es außerordentlich merkwürdig, plötzlich zu wissen, dass er unsterblich war. Mit kleinlichen Definitionsfragen gab er sich gar nicht erst ab. Natürlich war er nicht unverwundbar, aber wenn er sich in Acht nahm und vorausdachte, konnte er die Risiken minimieren.
Er trat einen Schritt vom Bett des Killers zurück. Man glaubte, den Saboteur überwältigt zu haben, aber vollkommen sicher konnte man nie sein. Zwar sagten die Monitore, der Mann schlafe mindestens so tief wie Skys Vater, aber man überließ besser nichts dem Zufall. Diese Kreaturen waren eigens dafür ausgestattet, andere zu täuschen. Anders als normale Menschen konnten sie ihren Herzschlag und ihre Neuralaktivität kontrollieren. Der Chimäre hätte Sky mit seiner ungefesselten Hand am Hals packen und ihm die Kehle zudrücken können, bis er tot war. Oder er hätte ihn ganz nahe zu sich heranziehen können, um ihm mit den Zähnen das Gesicht zu zerfleischen.
Sky entdeckte einen Arztkoffer an der Wand, öffnete ihn, betrachtete das ordentlich einsortierte Chirurgenbesteck und zog ein Skalpell heraus. Das sterile Metall glänzte bläulich im gedämpften Licht. Sky drehte es hin und her und beobachtete voller Bewunderung, wie die Klinge verschwand, wenn er sie mit der Schneide zu sich hin drehte.
Eine schöne Waffe, dachte er; ein hervorragendes Werkzeug.
Dann näherte er sich damit dem Saboteur.
Sechzehn
»Er kommt zu sich«, sagte eine Stimme und holte meine trägen Gedanken ins Bewusstsein zurück.
Jeder Soldat lernte – zumindest auf Sky’s Edge –, dass einen nicht jeder, der auf einen schoss, auch zwangsläufig töten wollte. Jedenfalls nicht immer sofort. Dafür gab es verschiedene Gründe, und nicht alle hatten mit dem normalen Ablauf einer Geiselnahme zu tun. So konnte man die Erinnerungen gefangener Soldaten abfischen, ohne sie grausam zu foltern – man brauchte nur das richtige Gerät für einen Neuralscan, und das lieferten einem die Ultras, wenn man dafür bezahlte, und man brauchte etwas, das sich zu erfahren lohnte. Mit anderen Worten, Informationen – jenes Wissen über eine Operation, das jeder Soldat haben musste, wenn er zu irgendetwas nütze sein sollte.
Mir war das freilich nie passiert. Ich war oft genug beschossen und auch getroffen worden, aber nie hatte es jemand darauf angelegt, dass ich wenigstens die relativ kurze Zeitspanne überlebte, die man benötigt hätte, um meine Erinnerungen auszubeuten. Ich war nie in die Hände des Feindes gefallen und hatte deshalb auch nie das zweifelhafte Vergnügen gehabt, mich beim Aufwachen in anderen als sicheren Händen wiederzufinden.
Jetzt machte ich endlich die Erfahrung, wie man sich dabei fühlte.
»Mister Mirabel? Sind Sie wach?« Jemand wischte mir mit einem weichen, kalten Lappen über das Gesicht. Ich schlug die Augen auf und blinzelte. Nach längerer Bewusstlosigkeit empfand ich das Licht als schmerzhaft grell.
»Wo bin ich?«
»An einem sicheren Ort.«
Ich sah mich triefäugig um. Ich saß auf einem Stuhl am oberen Ende eines langgestreckten, abschüssigen Raums. Zu beiden Seiten führten gerippte Metallwände schräg nach unten, als führe ich auf einer Rolltreppe durch einen leicht schiefen Tunnel. In die Wände waren ovale Fenster eingelassen, aber dahinter sah ich eigentlich nur Dunkelheit und ein Gewirr von langen Lichterketten. Ich befand mich hoch über der Stadt, also mit ziemlicher Sicherheit
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