Chasm City
die den Auftrag hätte, die technische Durchführbarkeit der empfohlenen Umbauten zu überprüfen. Kein Schiff sollte auf eigene Faust handeln oder den Versuch unternehmen, die Modifikationen ohne ausdrückliche Zustimmung aller anderen Parteien durchzuführen. Wer einen solchen Alleingang wagen wolle, könne das gerne tun, müsse sich aber mit seinem Schiff von der übrigen Flottille auf das Vierfache des derzeitigen Abstandes entfernen.
»Das ist Wahnsinn«, sagte Zamudio. Er war ein großer, stattlicher Mann, dem man sein Alter nicht ansah. Bei der Explosion der Islamabad hatte er das Augenlicht verloren. Nun saß auf seiner Schulter wie der Papagei eines alten Seebären eine Kamera, die scheinbar ganz von selbst hierhin und dorthin schwenkte. »Wir hatten diese Expedition einst im Geist der Kameradschaft angetreten, sie sollte nicht in ein Wettrennen ausarten, bei dem jeder als Erster am Ziel sein will.«
Armesto schob trotzig das Kinn vor. »Warum weigern Sie sich dann, die Vorräte, die Sie gehortet haben, mit uns anderen zu teilen?«
»Wir horten keine Vorräte«, behauptete Omdurman wenig überzeugend. »Ebenso wenig, wie Sie uns die Ersatzteile für unsere Kälteschlafkojen vorenthalten.«
Zamudios Kamera richtete sich auf ihn. »Was für eine lächerliche…« Er verstummte, dann fuhr er fort. »Niemand will bestreiten, dass es auf den einzelnen Schiffen gewisse Unterschiede im Lebensstandard gibt. Nichts läge uns ferner. Das war von Anfang an bewusst so geplant. Jedes Schiff sollte seine inneren Angelegenheiten selbständig regeln, und sei es nur, um sicherzustellen, dass nicht alle die gleichen unvorhersehbaren Fehler machten. Müssen wir deshalb am Ende auf jedem Schiff die gleichen Bedingungen haben? Nein, natürlich nicht. Sonst wäre etwas gründlich schief gelaufen. Die Sterblichkeitsraten innerhalb der einzelnen Besatzungen werden nie ganz einheitlich sein; das ergibt sich ganz einfach daraus, dass man nicht auf allen Schiffen das gleiche Gewicht auf die medizinische Versorgung legt.« Jetzt hatte er die Aufmerksamkeit für sich gewonnen. Also senkte er die Stimme und schaute ins Leere, während seine Kamera von einem Gesicht zum anderen schwenkte. »Ja, auch die Ausfälle in den Kälteschlafkojen variieren von Schiff zu Schiff. Sabotage? Daran glaube ich nicht, auch wenn es eine beruhigende Vorstellung wäre.«
»Beruhigend?«, fragte jemand, als hätte er sich verhört.
»Genau das. Nichts ist beruhigender als eine paranoide Verschwörungstheorie, besonders, wenn sie tiefere Probleme verdeckt. Vergessen Sie das Gerede über Saboteure; denken Sie lieber an schlechte Organisation, unzulängliche technische Fähigkeiten… die Liste ist lang.«
»Genug gefaselt«, fuhr Balcazar dazwischen. Er hatte gerade wieder einen lichten Moment. »Das ist nicht das Thema unserer heutigen Zusammenkunft. Wenn jemand den Anweisungen der verdammten Botschaft folgen will, dann soll er sich nicht aufhalten lassen. Ich werde mit lebhaftem Interesse beobachten, was daraus wird.«
Aber wahrscheinlich würde keiner diesen ersten Schritt tun. Wie der Captain unterstellt hatte, wäre die natürlichste Regung, jemand anderen den ersten Fehler begehen zu lassen. In drei Monaten, nachdem man die Botschaften genauer untersucht hatte, sollte ein weiteres Spitzengespräch stattfinden. Einige Zeit danach wollte man die gesamte Bevölkerung der Schiffe von der Existenz der Botschaften in Kenntnis setzen. Die Vorwürfe, die man sich im Sitzungssaal an den Kopf geworfen hatte, wurden stillschweigend vergessen. Man deutete sogar zaghaft an, die Angelegenheit könnte, anstatt die Spannungen zwischen den Schiffen zu verschärfen, sogar zu einem leichten Tauwetter in den Beziehungen führen.
Wenig später saß Sky mit Balcazar im Shuttle und flog nach Hause zurück.
»Wir werden bald wieder auf der Santiago sein, Captain. Sie sollten sich ein wenig ausruhen.«
»Verdammt, Titus… wenn ich mich ausruhen wollte…« Aber Balcazar war eingeschlafen, bevor er den Satz vollenden konnte.
Das Heimatschiff war als scharf umrissener Fleck auf dem Display des Taxi-Shuttles zu erkennen. Manchmal kamen Sky die Schiffe der Flottille vor wie die Inselchen in einem kleinen Archipel, wo die Wasserflächen dazwischen so riesig waren, dass jede Insel für alle anderen hinter dem Horizont lag. Auch war es in diesem Archipel immer Nacht, und die Feuer auf den Inseln waren so schwach, dass man sie nur sah, wenn man ohnehin schon ganz nahe war.
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