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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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anvertraut, bevor er sich unter das Messer begab. Hübscher Einfall, Quirrenbach, dachte ich. Damit hatte er seine Geschichte untermauert.
    Nur hätte ich, im Rückblick betrachtet, doch hellhörig werden müssen. Der Hehler hatte sich beklagt, Quirrenbachs Empirika seien keine Originale, sondern Raubkopien von Exemplaren, die er schon Wochen zuvor in Händen gehabt habe. Dabei hatte Quirrenbach behauptet, er sei eben erst angekommen. Würde ich überhaupt ein Schiff von Grand Teton finden, wenn ich die Manifeste der Lichtschiffe durchsah, die in der letzten Woche angekommen waren? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Das kam ganz darauf an, wie gut Quirrenbach für seine Geschichte recherchiert hatte. All zu eingehenden Nachforschungen würde sie wohl kaum standhalten; er hatte schließlich nur ein bis zwei Tage Zeit gehabt, um sich die ganze Chose aus den Fingern zu saugen.
    Wenn man das bedachte, hatte er seine Sache gar nicht so schlecht gemacht.
 
    Die nächste Haussmann-Episode folgte einige Zeit nach Mittag. Ich war mit Dominika fertig, lehnte träge mit dem Rücken an der Wand der Bahnhofshalle und sah einem berufsmäßigen Puppenspieler zu, der eine ganze Gruppe von Kindern unterhielt. Er arbeitete über einer Bühne im Kleinformat mit einer winzigen Marionette, die Marco Ferris darstellte. Die bewegliche Figur trug einen Raumanzug und kletterte einen Haufen krümeliger Mauerbrocken hinunter, der eine Felswand darstellen sollte. Ferris war auf dem Weg in den Abgrund, wo sich am Fuß der Felswand, scharf bewacht von einem neunköpfigen außerirdischen Ungeheuer, ein Haufen Edelsteine befand. Als der Puppenspieler das Ungeheuer auf Ferris hetzte, schrien die Kinder und klatschten begeistert Beifall.
    Das war der Moment, in dem mein Verstand stillstand und die fertige Episode über mein Bewusstsein hereinbrach.
    Später – nachdem ich Zeit gehabt hatte, die Offenbarungen zu verarbeiten – beschäftigte ich mich auch mit der Szene, die vorangegangen war. Die ersten Haussmann-Episoden waren ganz harmlos gewesen, Schilderungen von Skys Leben, die sich an die mir bekannten Fakten hielten. Doch dann waren sie abgewichen, zuerst nur in Kleinigkeiten, dann immer krasser. Das sechste Schiff wurde meines Wissens in keinem konventionellen Geschichtswerk erwähnt, ebenso wenig die Tatsache, dass Sky den Killer, der seinen Vater ermordet oder es zumindest versucht hatte, am Leben erhalten hatte. Doch das waren nur Bagatellen, verglichen mit der Vorstellung, Sky hätte Captain Balcazar ermordet. Balcazar war bei uns nur eine Fußnote der Geschichte; einer von Skys Vorgängern – aber niemand hatte jemals unterstellt, Sky hätte ihn tatsächlich getötet.
    Aus meiner Hand tropfte Blut auf den Boden der großen Halle. Ich ballte sie zur Faust und fragte mich zum ersten Mal, womit ich wirklich infiziert worden war.
 
    »Ich konnte nichts dagegen tun. Er schlief neben mir und gab keinen Laut von sich – ich hatte nicht den leisesten Verdacht, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte.«
    Die beiden Betreuer, die Balcazar untersuchten, waren sofort an Bord gekommen, nachdem das Shuttle festgemacht hatte. Sky hatte wegen des alten Mannes Alarm geschlagen. Valdivia und Rengo hatten die Luftschleuse hinter sich geschlossen, um genügend Bewegungsfreiheit zu haben. Sky beobachtete sie aufmerksam. Beide waren überarbeitet, wirkten blass und müde und hatten verschwollene Augen.
    »Er hat keinen Schrei ausgestoßen, nach Atem gerungen oder etwas dergleichen?«, fragte Rengo.
    »Nein«, sagte Sky. »Keinen Mucks hat er gemacht.« Er spielte den Verstörten, hütete sich aber zu übertreiben. Seit Balcazar beiseite geschafft war, führte ein nahezu gerader Weg zum Kommandantensessel, als hätte sich plötzlich inmitten eines verworrenen Labyrinths ein einfacher Pfad ins Zentrum aufgetan. Ihm war das klar; den beiden Medizinern ebenfalls – und hätte er seiner Trauer nicht einen Anflug von Freude über sein unverhofftes Glück beigemischt, er hätte sich noch verdächtiger gemacht.
    »Ich gehe jede Wette ein, dass ihn die Bastarde auf der Palästina vergiftet haben«, sagte Valdivia. »Ich war eigentlich von vornherein gegen diesen Flug.«
    »Die Sitzung muss ihn sehr belastet haben«, bemerkte Sky.
    »Und das hat vermutlich genügt«, sagte Rengo und rieb sich die ohnehin schon geröteten Augen. »Kein Grund, den anderen die Schuld zu geben. Der Stress war einfach zu viel für ihn.«
    »Dann hätte ich nichts tun

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