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Chasm City

Chasm City

Titel: Chasm City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Es ging ihm gut, bis das Aggregat einen Alarmton von sich gab. Ich öffnete ihm die Jacke und sah auf die Diagnoseanzeige. Sie meldete einen Herzinfarkt.«
    »Nein…«, sagte einer der Betreuer, aber niemand achtete auf ihn.
    »Und Sie sind sicher, dass er keinen Infarkt hatte?«, fragte die Frau.
    »Das war kaum möglich. Er unterhielt sich in dem Moment mit mir und zwar ganz vernünftig. Keinerlei Beschwerden, er war nur ärgerlich. Dann kündigte das Aggregat einen Defibrillationsversuch an. Es versteht sich wohl von selbst, dass Balcazar sich darüber sehr erregte.«
    »Und was geschah dann?«
    »Ich wollte ihm den Panzer abnehmen, aber er hatte so viele Leitungen im Körper, dass ich es in den wenigen Sekunden, bevor sich der Defibrillator zuschaltete, nicht schaffen konnte. Und dann blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu entfernen. Hätte ich Balcazar berührt, ich wäre womöglich selbst nicht mehr am Leben.«
    »Er lügt«, sagte der Betreuer.
    »Hören Sie nicht auf ihn«, sagte Sky ungerührt. »Was sollte er denn sonst sagen? Ich will ihm keine böse Absicht unterstellen…« Er ließ den Satz so lange stehen, dass er sich den Umstehenden einprägen konnte, bevor er fortfuhr: »Ich behaupte also nicht, dass es Absicht war, aber es war ein schwerer Fehler, den ich auf Überarbeitung zurückführen möchte. Sehen Sie sich die beiden doch an. Sie stehen kurz vor dem Zusammenbruch. Kein Wunder, dass Ihnen da Fehler unterlaufen. Wir sollten ihnen nicht allzu schwere Vorwürfe machen.«
    So. Wenn die Anwesenden später an dieses Gespräch zurückdachten, würden sie nicht einen Sky vor sich sehen, der versuchte, sich aus der Verantwortung zu stehlen, sondern einen großmütigen, sogar gnädigen Sieger. Und sie würden ihm Beifall zollen, ohne die schlafmützigen Betreuer ganz und gar von jeder Schuld freizusprechen. Und das ohne schlechtes Gewissen, dachte Sky. Ein großer, allseits geachteter alter Mann war unter unglücklichen Umständen zu Tode gekommen. Da war es nicht mehr als recht und billig, wenn gewisse Beschuldigungen erhoben wurden.
    Er hatte sich gut aus der Affäre gezogen.
    Bei der Autopsie würde sich herausstellen, dass der Captain tatsächlich an Herzversagen gestorben war, aber weder durch die Autopsie, noch mit dem Diagnostikspeicher des Überwachungssystems würde man im Einzelnen rekonstruieren können, was zu seinem Tod geführt hatte.
    »Das hast du gut gemacht«, sagte Clown.
    Gewiss; aber ein Teil des Verdienstes gebührte auch Clown. Er hatte Sky geraten, dem schlafenden Balcazar den Uniformrock aufzuknöpfen, und er hatte Sky gezeigt, wie er auf die abgesicherten Funktionen des Systems zugreifen und es so programmieren konnte, dass es den Defibrillationsimpuls abgab, obwohl sich der Captain so wohl fühlte wie seit längerem nicht mehr. Clown hatte großes Geschick bewiesen, wobei Sky im Innersten seines Herzens durchaus erkannte, dass Clowns Wissen das seine war. Aber Clown hatte die Erinnerung ans Licht geholt, und dafür war Sky ihm dankbar.
    »Ich finde, wir sind ein gutes Team«, flüsterte Sky ihm zu.
    Sky beobachtete, wie die Leichen der Männer ins All stürzten.
    Man hatte für Valdivia und Rengo die einfachste Art der Hinrichtung gewählt, die es an Bord eines Raumschiffes gab: Tod durch Ersticken in einer Luftschleuse mit anschließender Entsorgung der Leichen im Vakuum. Das Gerichtsverfahren zur Untersuchung der Todesumstände des alten Mannes hatte nach Schiffszeit zwei Jahre gedauert; die Mühlen der Justiz mahlten langsam, in Skys Aussage wurden immer neue Widersprüche entdeckt, immer wieder wurde Berufung eingelegt. Aber jede Berufung war gescheitert, und Sky war es gelungen, die Widersprüche für nahezu jedermann befriedigend aufzuklären. Als die Luft aus der Schleusenkammer gepumpt wurde, hatte man die Sterbenden verzweifelt gegen die Tür hämmern hören. Nun drängte eine Schar von höheren Schiffsoffizieren an die Bullaugen, um einen Blick ins Dunkel zu werfen.
    Die Strafe war hart, überlegte Sky – besonders weil die medizinische Versorgung auf dem Schiff ohnehin nur mit Mühe aufrechterhalten werden konnte. Aber solche Verbrechen durfte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Dabei spielte es kaum eine Rolle, dass diese Männer nur fahrlässig gewesen waren, ohne Balcazar wirklich töten zu wollen – obwohl selbst daran gewisse Zweifel bestanden. Nein; auf einem Schiff wog Fahrlässigkeit kaum weniger

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