Chasm City
ungefährliche Weise durch den Körper zu lenken.«
»Das klingt wie eine Operation«, sagte Chanterelle.
»Genau das war es auch.«
Beim Scan des Meistermischers, so berichtete ich, war eine lange, gut verheilte Wunde durch meinen ganzen Körper entdeckt worden, die sich mit einem Strahlenschuss erklären ließ, der in spitzem Winkel in meinen Rücken eingedrungen und durch den Unterleib wieder ausgetreten war. Auf dem Scan hatte die Wunde – abgesehen wie der sich auflösende Kondensstreifen eines Flugzeugs.
»Aber das heißt…«, begann Zebra.
»Muss ich es noch deutlicher sagen? Es heißt, ich bin der Mann, für den Tanner Mirabel gearbeitet hat. Ich bin Cahuella.«
»Das wird ja immer wilder«, bemerkte Quirrenbach.
»Lass ihn ausreden«, sagte Zebra. »Vergiss nicht, ich war dabei, als er den Meistermischer aufsuchte. Er denkt sich das nicht alles aus.«
Ich wandte mich an Chanterelle. »Sie haben die genetischen Veränderungen an meinen Augen gesehen. Die hatte Cahuella bewusst an sich vornehmen lassen; er hatte die Ultras dafür bezahlt. Die Jagd war seine große Leidenschaft.«
Aber das war sicher nicht der einzige Grund gewesen. Cahuella wollte bei Nacht sehen können, weil er die Dunkelheit hasste, weil er sich nicht gern daran erinnerte, wie es gewesen war, als kleiner Junge allein und vergessen in seinem Kinderzimmer zu sitzen.
»Du redest von Cahuella noch immer in der dritten Person«, sagte Zebra. »Warum? Ich denke, du bist überzeugt davon, dass du er bist?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich sah mich wieder im Regen auf den Knien liegen, ein Mensch, dem alles genommen worden war. Das Gefühl völliger Zerrissenheit war immer noch vorhanden, aber inzwischen hatte ich es eingegrenzt, hatte es mit einem Gitter, einer – wenn auch noch so wackeligen – Mauer umgeben, die es mir zumindest erlaubte, in der Gegenwart zu funktionieren.
»Im Grunde schon. Aber seine Erinnerungen, falls ich sie tatsächlich habe, sind Stückwerk – nicht deutlicher als die von Tanner.«
»Nur um alle Missverständnisse auszuschließen«, sagte Quirrenbach. »Sie haben keine Ahnung, wer Sie sind, ist das richtig?«
»Nein«, sagte ich und bewunderte meine eigene Gelassenheit. »Ich bin Cahuella. Davon bin ich jetzt völlig überzeugt.«
»Tanner möchte dich töten?«, fragte Zebra, als wir außerhalb der Bahnhofshalle aus Chanterelles Gondel stiegen. »Obwohl ihr einmal so dicke Freunde wart?«
Bilder – ein weißer Raum, ein nackter Mann, der auf dem Boden kauerte – blitzten vor meinem inneren Auge auf wie stroboskopisch beleuchtet und wurden mit jeder Wiederholung ein wenig schärfer.
»Es ist etwas sehr Schlimmes passiert«, sagte ich. »Cahuella – der Mann, der ich bin – hat Tanner etwas Schreckliches angetan. Ich kann es Tanner nicht einmal verdenken, wenn er sich rächen will.«
»Ich kann es auch Cahuella oder Ihnen oder wem auch immer nicht verdenken«, sagte Chanterelle. »Nicht, wenn Sie – Tanner – ihn erschossen haben.«
Ihr verwirrtes Stirnrunzeln verstand ich nur zu gut. Bei diesem ständigen Wechsel von Identitäten und Erinnerungen nicht den Überblick zu verlieren, war ebenso schwierig, als wollte man nach einer komplizierten Vorlage einen Wandteppich sticken.
»Tanner hatte versagt«, erklärte ich. »Sein Schuss sollte Cahuellas Frau retten, aber stattdessen hat er sie getötet. Es könnte der erste und zugleich der letzte Fehler seiner Karriere gewesen sein. Eigentlich gar nicht so schlecht. Schließlich musste er unter ungeheurem Druck handeln,«
»Das klingt ja, als wärst du ihm gar nicht wirklich böse, weil er dich verfolgt«, sagte Zebra.
Wir marschierten in die Halle. Jetzt herrschte deutlich mehr Betrieb als vor ein paar Stunden, als wir zum letzten Mal hier gewesen waren. Noch hatten sich keine Vertreter der Obrigkeit um Dominikas Zelt gekümmert, allerdings waren auch keine Kunden zu sehen. Vermutlich schwebte ihr Körper nach wie vor mit Schlangen geschmückt und künstlich am Leben erhalten über der Liege, auf der sie ihre neuralen Exorzismen durchgeführt hatte. Gewiss hatte sich die Nachricht von ihrer Ermordung inzwischen bis weit in den Mulch hinein verbreitet, aber die Tat war so ruchlos – sie verstieß so eklatant gegen die ungeschriebenen Gesetze, die bestimmten, wer sakrosankt war und wer nicht –, dass sie förmlich einen Bannkreis um das Zelt gezogen hatte.
»Das könnte ihm wohl niemand verdenken«, sagte ich. »Denn was ich ihm angetan
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