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Cheng

Cheng

Titel: Cheng Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Straka mit einer Gelassenheit, die wie eine Stahltraverse auf Schüttengrubers kleines schwaches Aufbegehren niederfuhr.
     
    Am späten Vormittag wurde die ortsansässige Bergrettung von der Abgängigkeit eines deutschen Pensionisten benachrichtigt, der Silvester auf der Predigerhütte gefeiert hatte, aber nach einem Streit mit einem Einheimischen (man war sich nicht einig gewesen, ob Ernst Röhm und General Schleicher als Verräter oder Märtyrer zu bewerten seien) die Hütte verlassen hatte, vielleicht um ins Tal hinunterzusteigen oder vielleicht auch nur um in den Schnee der verlustig gegangenen Ostmark eine Furche der Wut zu brunzen oder was auch immer. Auf jeden Fall war er weder in die Hütte zurückgekehrt noch in seinem Hotel in Schlagholzl angekommen. Weshalb die Bergrettung ausrückte, um das ehemalige Mitglied der SS-Standarte Germania und den Schlagholzler Ehrenbürger entlang jenes Gebirgspfades zu suchen, der trefflicherweise Deutschlandsteig hieß. Was sie aber fanden, war kein deutscher Altrecke, sondern ein Mann, den sie im ersten Moment für einen Eskimo hielten, um dann aber die Vermutung anzustellen, es handle sich um eine Art Chinesen oder Thailänder oder so. Es sei mitunter schon verrückt, was man so alles am Berg finde. Auf jeden Fall fehlte dem Mann ein Unterarm (das Fleisch um den Oberarmknochen leuchtete verführerisch wie der Hut eines Fliegenpilzes). Auch sonst sah er nicht sehr gesund aus. Die Männer von der Bergrettung dachten schon, sie hätten leichtes Spiel, doch das Herz des Verunglückten schlug noch immer. Weshalb sie nicht umhinkamen, den Arm abzubinden (die Schlagader hatte sich mit ihren abgerissenen Ausläufern zusammengerollt; der abgetrennte Arm mutete nicht unappetitlicher an als das Fleisch, welches uns aus den Tiefkühlregalen unserer Supermärkte anlächelt). Cheng wurde in einen Sack gestopft, der bei weitem freundlicher aussah als Doktor Hantschks Gefrierbeutel, und auf einem Schlitten ins Tal gefahren.
    Zwei Dinge gingen in diesem Winter für immer verloren, einmal der ehemalige SS-Mann (der wahrscheinlich wieder einmal in die falsche Richtung marschiert und in eine Gletscherspalte gestürzt war, was man nur sehr bedingt als Unglück bezeichnen kann) und zweitens der linke Unterarm von Markus Cheng, der ihm im Zuge seines Sturzes von einer Felskante abgetrennt worden war, so glatt und sauber, wie ein funktionierender Rasierer ein Barthaar guillotiniert. Daß nun Cheng den Hundertmetersturz überlebt hatte (dank gefinkelter physikalischer Umstände, denen er freilich auch seine Amputation verdankte, welche seine Flugbahn in minimalster, aber geradezu idealer Weise verändert hatte), weiter, daß er nicht verblutet war (dank bereits erwähnter Selbstverarztung der Schlagader und dank der tiefen Temperatur) und auch das unfreundliche Wetter gut überstanden hatte, das alles kam selbstredend einem Wunder gleich. Natürlich war einiges gebrochen, und zu seiner fehlenden Linken kam, daß er den Rest seines Lebens leicht hinken würde, aber seine Ärzte waren die fröhlichsten Menschen, die man sich denken kann, zudem alle hundertprozentig katholisch, weshalb sie die Sache mit dem Wunder so in Richtung lieber Gott zu biegen versuchten. Nicht offen heraus, man bemühte Gleichnisse (wenig harmoniert so gut wie Schulmedizin und katholischer Aberglaube). Cheng war sogar ins Fernsehen gekommen, Das Wunder von der Predigerwand, von Mordversuch freilich keine Rede. Die Leute fanden es herzig, daß ein Chinese nach Österreich Bergsteigen kam, wo so einer doch Tibet um die Ecke hatte. Sein perfektes Deutsch nahmen sie gelassen hin, weil sie fanden, bei einem Bergsteiger gehöre sich das.
     
    Straka setzte sich auf den kleinen Stuhl, der neben dem Bett stand. Die Krankenschwester steckte die mitgebrachten Blumen in einen Glasbehälter, der nicht aussah, als sei er dafür geschaffen worden. Sie fächerte die Blumen auf, so wie man versucht, Haaren den Anschein von Fülle zu geben. Wie lächerlich, dachte Straka, aber seine Frau hatte ihn angewiesen, Blumen zu besorgen, das gehöre sich, in Blumen stecke Lebenskraft. Auch in ein paar verhungerten Tulpen? fragte sich der Kriminalist.
    Doch die Krankenschwester zeigte sich entzückt. »Ach, sehen Sie doch, Herr Cheng, was für schöne Blumen uns der Herr Oberstleutnant mitgebracht hat. Da fühlen wir uns doch gleich viel besser, gell?«
    Straka seufzte. Gerne hätte er die Schwester darauf hingewiesen, daß er die Blumen

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