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Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
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die unnötigen Geldausgaben, die aufgezwungene Personalpolitik, dafür, daß sie ein KZ-Kind mit nach Hause brachte. Nach dem Krieg durfte er sie auch noch dafür hassen, daß sie den Kommunisten beitrat. Weniger aus Überzeugung als aus sentimentalen Gründen.
    Währenddessen schlüpfte Geissler aus seiner in die Jahre gekommenen SS-Uniform und stieg mühelos in seine Nachkriegsuniform, den weißen Chirurgenmantel, geradezu die Paradeuniform einer neuen, unkriegerischen Zeit. Selbstredend war seine Nazivergangenheit da kein Problem. Im Gegenteil. In den fünfziger und sechziger Jahren war man eher verdächtig, wenn man nicht irgendeine kleine Nazivergangenheit vorweisen konnte. Das gehörte nun einmal zum guten Ton. Selbst die Sozialisten sagten sich: Ein ehemaliger Nazi kann kein Bolschewist sein, und das macht ihn sympathisch.
    Maria Baumann studierte nach dem Krieg Jus und wurde Rechtsanwältin. »Die Kommunistenhur«, so wurde sie von den lieben Kollegen gerne genannt. Hin und wieder empfand sie das als Adelsprädikat. Sie war eine Spezialistin für hoffnungslose Fälle, im Übernehmen solcher, nicht im Gewinnen. Sie scheiterte sozusagen an ihrer Klientel. Mit gewissen Leuten war ein Prozeß einfach nicht zu gewinnen. Das waren ja grundsätzlich hoffnungslose Fälle. Leute, die in die immer gleichen Fallen der bürgerlichen Gesellschaft tappten. Die man weniger für ihre Taten als für ihre Ungeschicklichkeiten bestrafte. Leute, die sozusagen fürs Gefängnis geboren waren. Hoffnungslose Fälle kann man nur im Film gewinnen.
    Im März neunzehnfünfundachtzig erschien eine Frau Urban in Baumanns Kanzlei und beauftragte sie, mehrere Unterlagen zu verwahren. Die Urban war jahrelang die Privatsekretärin des Politkarrieristen Herbert Lukaschek gewesen, des Mannes, den der Bundeskanzler soeben zum Verteidigungsminister ernannt hatte. Die alte Geschichte: Sekretärin vergöttert ihren Chef bis zur Selbstaufgabe, glaubt noch in jeder Demütigung den Hauch einer Zuneigung zu erkennen, loyal selbst im Untergang; eine nach YSL duftende devote Magd. Was natürlich nichts an einer gewissen gesunden Neugierde ändert, so daß im Laufe der Jahre eine Art Prophylaxe in Form belastender Dokumente entsteht.
    Sekretärinnen sind unberechenbar – das wird oft unterschätzt. In ihrer Demut steckt immer eine Granate.
    Lukaschek hatte sie wegen irgendeiner Kleinigkeit gefeuert, um Platz zu schaffen für ein junges Talent. Nun, das war natürlich ein bitteres Erwachen nach zwei Jahrzehnten süßer Träume, weshalb die solcherart Verstoßene nicht länger stillhielt und ihrem ehemaligen Chef zu drohen begann. Zwei Tage nachdem sie Maria Baumann die Papiere übergeben hatte, war die Urban tot. Sprung aus dem fünften Stock, Abschiedsbrief und die traurige Geschichte einer alten Jungfer – makelloser konnte ein Selbstmord nicht aussehen.
    Die Baumann holte die Unterlagen aus dem Safe, um nachzusehen, was die Urban gegen den Lukaschek in der Hand gehabt hatte. Im Grunde das Übliche, die Notwendigkeiten eines erfolgreichen Lebens, angefangen von banaler Hochstapelei über die systemerhaltende Umverteilung großer Beträge in kleinen Kreisen bis zu jenen harten Bandagen wie Erpressung und Mord, ohne die ja selbst Liebhaber von Kammermusik oder Hobbyarchäologen nicht immer auskommen. Die Baumann war sich nicht sicher, ob mit diesen Papieren überhaupt etwas anzufangen war. Was sie dann freilich aus der Gleichgültigkeit riß, war das Auftauchen der Namen Geissler und Chaloupka in einigen der Unterlagen.
    Geisslers große Leidenschaft hatte seit jeher den Toxinen und ihrer adäquaten Anwendung gegolten, und schließlich dürfte ihm irgendeine großartige Sache gelungen sein, was man so unter großartig versteht, organische Giftstoffe, erzogen zur Parteilichkeit, eben etwas in dieser Art. Genaueres ging nicht daraus hervor. Sehr wohl aber, daß Lukaschek und Geissler und ein gewisser H.P. Thomson, damals Leiter eines internationalen, um ein Bild der Harmlosigkeit bemühten Handelsunternehmens, die neue Produktformel an diverse kriegführende Nationen – und naturgemäß ist jede Nation eine kriegführende – vertrieben hatten. Und zwar mit einem erquicklichen Profit. Geisslers Innovation dürfte sich, gelinde gesagt, bewährt haben. Wer weiß schon, woran die Leute sterben.
    Das sind die Horrorgeschichten, die keiner glauben will.
    Das Verrückte war nun, daß Maria Baumann nicht nur wieder bei Geissler gelandet war, sondern daß es sich
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