Cherryblossom 2 - Nymphenherz (German Edition)
er.
»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, jammerte ich.
»Wir müssen zusammenbleiben, Hanna! Komme was wolle«, beschwor er mich und ich nickte.
Es war seltsam still inmitten der dichten grauen Flocken , die den Weg, auf dem wir gingen, immer undeutlicher werden ließen. Ich sah zu Boden, um ihn nicht zu verlieren und trieb meine Beine an, nicht langsamer zu werden. Kälte kroch in meine Knochen und machte die Bewegungen schwer.
Der schwarze Weg tat eine Biegung und ich versuchte etwas in der Ferne zu erkennen. Ich glaubte eine Silhouette zu erahnen und lief schneller, bevor Lennox mich an meinem Arm zu sich herumwirbelte. »Stopp!«, rief er und das Wort kam mir in dieser seltsamen Stille unnatürlich laut vor. Ich sah zu Boden. Der Weg machte eine scharfe Linkskurve und ich hätte ihn beinahe verlassen. Zitternd atmete ich auf und sah Lennox ins Gesicht.
»Du musst aufpassen, mein Nymphenherz«, sagte er mit einem besorgten Lächeln. Jetzt zuckte mein Blick von ihm fort. Wieder eine Bewegung in dem Nebel? Etwa zwei Meter vor mir kam eine kleine Person auf mich zu.
»Komm weiter«, kommandierte Lennox , zog an mir und folgte dem Weg.
»Warte, da ist jemand«, flüsterte ich und versuchte etwas zu erkennen.
»Wir dürfen den Weg nicht verlassen, Hanna. Wir wissen nichts über diese Welt, in der wir uns befinden. Nur, dass wir diesen Weg nicht verlassen dürfen«, belehrte er mich, als wäre ich ein Kind. Nur kurz blieb ich stehen, musterte Lennoxʼ angespannte Miene und wir gingen weiter. Die Person oder das Etwas schien uns zu folgen. Es blieb mit mir immer auf einer Höhe, ohne sich wirklich zu bewegen. Ich blieb stehen. »Ist da jemand?«, rief ich unruhig.
»Mama?« Es war eine Kinderstimme, die sic h näherte. »Mama, ich habe Angst.«
Ich griff nach Lennoxʼ Arm und hielt ihn zurück. »Warte, bitte.«
Er blieb stehen, versteifte sich aber zusehends neben mir.
»Mama?«, fragte die leise Kinderstimme, jetzt ganz nah. Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. Urplötzlich tauchte die kleine Gestalt neben uns im Schneegestöber auf, stand jetzt ganz klar vor uns. Hilfe suchend hielt sie mir ihre Hand hin.
»Nein! Tu das nicht!«, keuchte Lennox erschrocken auf und riss meinen Arm zurück, der im Begriff war sich dem Kind zu nähern.
»Du kannst es doch nicht berühren. Bist du wahnsinnig?«, schimpfte er und drehte mich an meinem Kinn zu sich, damit ich ihn ansehen musste. Ich blinzelte und blickte wieder zu dem Kind, das immer noch mit seiner Hand nach uns angelte. Es war ein kleines Mädchen, dessen schwarze Locken wirr von ihrem Kopf abstanden. Unter ihren leeren Augen zeichneten sich tiefe Schatten ab, in denen sich etwas zu bewegen schien. Ich zuckte zurück.
»Mama? Bist du das?« Sie legte ihren kleinen Kopf schief, was die Schleife in ihrem Haar verrutschen ließ. Jetzt verschwand sie wieder hinter dicken grauen Flocken.
»Mein Gott!«, flüsterte ich und klammerte mich an Lennox, der mich energisch hinter sich herzog.
»Das sind verlorene Seelen«, murmelte Lennox .
»Hat sie uns gesehen?«, fragte ich leise.
»Wer weiß das schon «, flüsterte Lennox matt.
»Wir müssen achtgeben . Wer weiß, was mit uns geschieht, wenn wir auch nur einen Fuß in dieses graue Nichts um uns herum setzen.«
Nach weiteren Minuten hörten wir das Flüstern. Es war wie ein wütendes Rauschen aus Tausenden von Stimmen, die durcheinandersprachen. Immer wieder sah ich mich gehetzt um und wurde schneller an Lennoxʼ Seite. Ich schrie, als der Weg plötzlich vor uns endete. Einfach verschwand. Ein Abgrund tat sich vor uns auf. Als wären wir durch einen Schleier getreten, sahen wir in der Tiefe ein mit Eis überzogenes Delta.
»Wie kommen wir da jetzt runter?« Lennox gin g in die Knie und tastete mit den Händen die Kante ab. Erst jetzt erkannten wir, dass der Weg nicht wirklich endete, sondern in einem schmalen Streifen etwa einen halben Meter breit über die Schlucht führte.
»Das darf doch nicht …« Den Rest verschluckte ich, als Lennox einen Fuß über die Kante setzte und mich hinter sich herzog. Jetzt waren es nicht nur Stimmen, die laut rauschten, sondern auch ein Sturm, der durch diese Schlucht zog.
»Lennox! Sieh!« Ich deutete nach unten. Auf dem Grund liefen Hunderte von Menschen. Große, Kleine, Alte und Junge. Es sah aus, als strebten sie alle in dieselbe Richtung. Zu der breiteren Seite, die sich zu öffnen schien und in eine weite Ebene überging.
»Wo gehen sie hin?«, fragte ich
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