Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
nagende Unruhe versetzte.
»Das Mal an ihrer Stirn … sie ist eine von uns. Dieses Mal kenne ich. Dieses Mal entsteht, wenn der Dämon von dem Menschen getrennt wird, es ist eine Art Narbe. Man hat sie entmächtigt , und sie hat es überlebt.« Eine Zornesfalte machte sich auf Bens Stirn breit, kopfschüttelnd presste er hervor: »Wir nehmen sie mit.«
Olivia und mich erfasste quälende Ungeduld, es waren bereits weitere fünfzehn Minuten verstrichen, als wir uns mit finsteren Mienen und Furcht im Herzen auf den Weg zurück zur Bar machten. Wir bemerkten schon von Weitem die Rauchschwaden, die sich hoch über die Häuserblocks erhoben. Ich schluchzte auf und sprintete los. Als ich um die Straßenecke bog, in der das Haus, belagert von Schaulustigen und Feuerwehr, lichterloh brannte, hielt Olive mich zurück. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, nur mein Herz, das aus der Brust zu springen drohte. » Wir müssen sie da rausholen! « Tobend raufte ich mir die Haare, krümmte mich unter der Last der Ungewissheit und Hilflosigkeit. Stöhnend sah ich zu Olivia, die mich betroffen ansah.
»Sie sind da nicht mehr drin, ich bin mir ganz sicher. Ben und ich haben eine Verbindung zueinander geknüpft. Wenn er stirbt, spüre ich es, wenn ich sterbe, spürt er es. So einfach ist das. Und ich habe nichts gespürt. Also entspann dich ein wenig«, murrte sie mir entgegen. » Du spürst doch auch sonst nicht viel! Wieso bist du dir so sicher, dass du jetzt etwas spüren würdest? «, schleuderte ich Olivia voller Zorn entgegen.
» Nett , Hanna!« Sie hob eine Augenbraue und sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn an. » Das würde ich spüren, glaub mir. Jetzt überleg mal kurz. Wir sollten hier jetzt nicht gesehen werden. Und wenn die anderen uns suchen, können sie uns nicht finden. Wir sollten zurück zum Treffpunkt gehen.« Olive zog mich energisch mit sich. Meine Muskeln waren vor Anstrengung verkrampft und ich hatte Schwierigkeiten, geradeaus zu gehen.
Entmächtigung
Lennox und Ben machten sich daran, mit dem stummen Mädchen unbemerkt aus dem Hinterhof zu entkommen. Sie ging barfuß unsicheren Schrittes in ihrem schmutzigen Sommerkleid hinter ihnen her. Das blumige Muster des Kleides war noch zu erahnen, die verschmutzte Spitze fiel sacht bei jedem Schritt, den sie tat, auf ihre Knie. Sie strich sich ihr braunes Haar aus dem Gesicht, das ihr bis zur Hüfte reichte. Unbeholfen tapste sie an Lennox’ Seite und ergriff wie selbstverständlich seine Hand. Stirnrunzelnd sah er auf sie herab, ließ sie gewähren und lief unbeirrt weiter.
»Sie wird ganz schön auffallen.« Ben sah besorgt auf das Mädchen und zog die Augenbrauen hoch. »Wenn wir Hanna und Olive gefunden haben, kann sie sich was anderes anziehen«, stellte Lennox sachlich und ruhig fest.
Bedacht betraten sie den Bürgersteig. Mit dem Mädchen in der Mitte gingen sie zielstrebig Richtung U-Bahn.
Als sie am Treffpunkt ankamen, stürzte sich Hanna aufschluchzend in Lennox’ Arme und ließ ihn nicht mehr los. Er lächelte erschöpft, strich sanft über ihr seidiges helles Haar. Das stumme Mädchen verkroch sich schüchtern hinter Ben, den Blick unruhig hin- und herwandernd. Olivias Augen weiteten sich vor Überraschung und Argwohn. »Na, was haben wir denn da?«, fragte sie übertrieben freundlich. Neugierig trat sie um Ben herum und musterte das Mädchen mit den Rehaugen, das barfuß und bleich vor ihr stand. Ihr Lachen blieb Olivia im Halse stecken, als sie das rote Mal auf ihrer Stirn entdeckte. Zischend stieß sie die Luft aus und sah erschrocken zu Ben, der nur langsam mit zusammengekniffenen Lippen nickte. »Ich habe noch nie eine Überlebende gesehen«, flüsterte sie benommen. Olivia sah selten so schockiert aus.
»Oh, mein Gott!«, sprach sie weiter. »Das ist ja schlimmer als der Tod. Das ist doch kein Leben. Ich meine, so ohne … als Mensch, und dann auch noch … Ist sie noch heile hier oben?« Sie tippte sich an den Kopf. Ihre sonst so kontrollierten Gesichtszüge waren ihr vollends entglitten.
»Man Olive, halt den Mund!«, blaffte Ben. Entsetzt sah Olivia auf das Mädchen.
»Wer hat ihr das angetan?«, flüsterte sie selbstvergessen und legte schon ihren Rucksack ab, um einen Pullover und eine Hose herauszukramen. Die Passanten musterten das Mädchen schon argwöhnisch. Olivia half, den Pullover über ihr altes Kleid zu ziehen und kramte noch Ballerinas hervor. Die waren zwar ein wenig groß, aber für den Moment
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