Cherryblossom - Die Zeitwandler (German Edition)
Er hatte mich jahrelang belogen, was konnte noch Lüge sein!? Ich wusste nicht, was ich glauben sollte. Ein weiteres Stück meines alten Lebens zerbarst wie die Suppenschüssel in viele kleine Scherben. Im Anschluss nahm ich Lennox’ Glas und warf es wütend hinter der Schüssel her. Louisa stand hinter mir und sah mich aufmerksam an. Mit einem Mal sprang sie zum Schrank und kramte Teller heraus, die sie mir vor die Nase stellte, mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen und großen Augen. Ich nahm einen und ließ ihn an die Wand krachen. Olive brachte sich grinsend in Sicherheit und musterte mich mit leisem Spott. Ich griff einen nach dem anderen. Dann ließ ich mich zurück auf den Stuhl fallen und schnaufte auf. Besser! Oh, ja. Viel besser!
»So, und weiter, was machen wir jetzt?«, fragte ich ruhig. Die Jungs lächelten sich verhalten an und beugten sich gleichzeitig verschwörerisch zu mir vor. »Wir müssen möglichst schnell deine Kraft entfesseln und hier weg.«
»Okay, fangen wir an?«
Entschlossen stand ich auf und sah alle auffordernd an. Ich wollte diesen Ort schnellstmöglichst verlassen.
Ben und Lennox standen hastig auf und blickten erstaunt. »Wir müssen nur ein wenig vorbereiten und dann geht’s los.« Ben zwinkerte mir zu, die Freude darüber, dass ich mich so leicht dazu durchgerungen hatte, war ihm deutlich anzusehen.
Lennox wirkte ein wenig zurückhaltender. »Olive kann ja schon mal alles verstauen, was wir nicht mehr brauchen. Ich gehe mich oben frisch machen. Ihr könnt mich ja rufen, wenn ihr soweit seid.«
Olive runzelte die Stirn und sah irgendwie unerfreut aus. Unwirsch strich sie ihre Haare hinter die Ohren. »Seit wann gibt sie hier die Kommandos?«
Ich erklomm die Treppe nach oben und nahm mir meinen Rucksack. Bewaffnet mit Zahnbürste und Zahnpasta ging ich ins obere Badezimmer, schloss die Tür und machte mich auf die Suche nach einem Handtuch. Erleichtert über eine erfolgreiche Suche drehte ich den Wasserhahn voll auf und putzte mir zuerst einmal gründlich die Zähne. Das Bild des Hexers in der Tiefkühltruhe schlich sich immer mal wieder in meine Gedanken, verursachte aber keinen Würgreiz mehr. Ich duschte mich kurz in einer altertümlich aussehenden Wanne und trocknete mich eilig ab. Es war furchtbar kalt und zugig, ich fing schon an zu schlottern. Langsam fühlte ich mich wieder bei vollen Kräften und neuer Tatendrang erfasste mich.
Die Perlmuttfarbe
Unten wieder angekommen, nahmen mich Olivia und Ben feierlich und sichtlich aufgeregt in Empfang. Bens Augen sprühten vor unterdrücktem Aufruhr, mit eines der alten Bücher unter seinem Arm schritt er zur Treppe. Aufgekratzt folgte ich ihm, dicht hinter mir Olivia und Louisa. Ich schluckte schwer und wappnete mich für das, was mich jetzt erwarten sollte.
Meine Hände zu Fäusten geballt, stieg ich hinab in den Keller, vorbei am tiefgekühlten Mister Whitkamp, auf einen in den Stein geschlagenen, von Fackeln erhellten Tunnel zu. Ben betrat den Tunnel ganz selbstverständlich und fing an, ein Lied zu summen, was ich so gar nicht mit der düsteren Stimmung in diesem Tunnel vereinbaren konnte. Mir kam das alles unheimlich und grotesk vor, wie einem Horrorfilm entsprungen. Ich drehte mich um und sah in Olives angespanntes Gesicht. Unwillkürlich erfasste mich fast gleichzeitig ein Anflug von Panik.
»Es ist alles okay, Hanna. Sie mag nur nicht hier unten sein.« Ben sah zu mir zurück. Er hatte meinen Blick zu Olivia und meine unmittelbar aufkeimende Furcht erfasst und sah mir aufmunternd ins Gesicht. »Sie hat einmal in einem engen Raum schlechte Erfahrungen gemacht. Im Erdloch von Magnus Gutenberg hat sie doch auch schon rumgezetert, wenn du dich erinnerst.«
Wir drei folgten Ben durch eine alte massive Holztür in einen runden Raum. Als ich die Ketten an der Wand sah, musste ich an die Knochen im Kleiderschrank denken und ich erschauderte. Lennox hockte auf dem Boden und malte mit Kreide einen Stern auf dem Boden nach. Er sah ein wenig aus wie die Artefakte selbst. In der Mitte war ein kleinerer Stern eingezeichnet, der leicht hervorstach. Auf einem Altar im Zentrum des Raumes lag ein Buch, aufgeschlagen mit dem Buchrücken nach oben. Lennox drehte sich um, als er uns hörte, stand auf, klopfte sich Kreidereste und Schmutz von den Händen und lächelte mir zu. Ich versuchte, es zu erwidern, was mir anscheinend gründlich misslang. Denn sein Blick verdüsterte sich und er beeilte sich, an mich heranzutreten.
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