Cherubim
Welt explodierte in einem Funkenregen aus Rot und Gelb.
Und dann war nichts mehr. Nur noch Finsternis.
19. Kapitel
Das erste, was Katharina wahrnahm, waren diese leuchtendblauen, weit aufgerissenen Augen.
Egberts Augen.
»Katharina!«, flüsterte er. Dann glitt ein Lächeln über seine Züge. Schief war es, und so unendlich vertraut. Katharina konnte den Blick nicht von seinem Gesicht lassen. Von diesen Zügen, von denen sie nächtelang geträumt hatte.
Sie wich einen Schritt zurück. Kurz vermeinte sie, einen Dämon vor sich zu sehen, das Trugbild irgendeines Teufels, der sie in den Irrsinn treiben wollte. Sie fühlte, wie ihre Knie weich wurden, spürte einen Halt am Arm und sah undeutlich Lukas neben sich stehen.
»Er ist es wirklich!«, hörte sie ihn sagen.
Und da endlich begriff sie, dass es kein Trugbild sein konnte, dass der Mann vor ihr echt und lebendig – so lebendig war!
Sie hob den Blick, schaute in diese blauen Augen.
»Egbert!«, hauchte sie.
Dann machte sie sich aus Lukas’ Griff los. Tat einen Schritt.
Einen zweiten.
Und lag im nächsten Moment in Egberts Armen. Lachend und weinend gleichzeitig fragte sie: »Du lebst?« Sie klammerte sich an ihn, sog seinen Geruch ein – er roch nicht mehr so wie früher, nicht mehr nach Sandelholz, sondern nach etwas anderem, strengerem. Es war ihr gleich. Er fühlte sich genauso an wie früher. Ein wenig dünner vielleicht, aber das war sie selbst wahrscheinlich auch.
Endlich gelang es Egbert, sie ein Stück von sich fortzuschieben und zu betrachten. »Mein Gott!«, murmelte er. »Du bist noch schöner, als ich dich in Erinnerung hatte.«
»Du lebst!« Das war alles, was Katharina herausbrachte.
Und da lachte er auf. »Ja!« Er rief es voller Übermut. »Ich lebe!«Er legte Katharina einen Arm um die Schultern und führte sie ins Innere des großen Hauses. Wie durch einen Schleier nur nahm sie den gefliesten Fußboden wahr, das regelmäßige Muster aus schwarzen und weißen Quadraten und den rötlichen Farbton der Wandvertäfelungen. Rings um sie herum war alles verschwommen, wie in einen Nebel getaucht, in dessen Zentrum als einzig Klares Egberts Gesicht schwebte.
Sie ahnte mehr, als dass sie es sah, wie sie in ein Zimmer geführt und auf einen zweisitzigen Lehnsessel niedergedrückt wurde.
Egbert kniete vor ihr nieder. Er nahm ihre beiden Hände in die seinen, und es war deutlich, dass auch er den Blick nicht von ihr abwenden konnte.
»Warum lebst du?« Endlich klärten sich die Nebel in Katharinas Kopf ein wenig, und sie vermochte einige klare Gedanken zu fassen. Es war unmöglich! Egbert war tot. Lukas selbst, der den Raum nicht zu betreten wagte und wie ein Lakai im Türrahmen stehengeblieben war, hatte Katharina seine Todesnachricht überbracht. »Du bist von Vaganten überfallen worden! Du wurdest erschlagen. Du bist ...« Fassungslos schüttelte sie den Kopf.
Wieder lachte Egbert. Es war ein Geräusch, das Katharina bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele drang. Es fühlte sich an, als streiche ihr eine zarte Hand durch die feinen Härchen im Nacken. Katharina bekam eine Gänsehaut.
»Sie haben mich nicht getötet!«, sagte Egbert. »Ich habe den Überfall überlebt.«
Jetzt fiel Katharina die Narbe auf, die er auf der Mitte der Stirn trug, und die von seinem Haaransatz zur Hälfte verdeckt wurde. Es war eine furchtbare Narbe, eine Delle, die seinen Schädelknochen deformierte. Katharina hob eine Hand, wagte es aber nicht, die Stelle zu berühren, die verdächtig weich aussah. Dass er diese Verletzung überlebt hatte, grenzte an ein Wunder.
»Es war knapp«, murmelte sie.
Egbert nickte. »Das war es! Ich habe lange auf dem Krankenlager gelegen, und das ist auch der Grund, warum du meine Todesnachricht erhalten hast.« Er warf einen Blick über die Schulter zu Lukas hin. »Ich bat ihn, zu dir zu reiten, als ich mir sicher war, dass ichsterben würde. Er wollte nicht, er wollte sich an seine Hoffnung auf mein Überleben klammern, aber ich bestand darauf.« Er zuckte die Achseln. »Es war ein Fehler, denke ich.«
»Wann bist du zurück nach Nürnberg gekommen?« Katharina sah sich um. Das gesamte Haus, die Einrichtung, alles machte den Eindruck von Verwahrlosung, als habe er es erst vor kurzem bezogen und noch keine Zeit gehabt, Dienstboten einzustellen.
Katharina spürte, wie Egbert ihre Hände drückte.
Sie blickte darauf nieder. Die roten Härchen auf seinen Handrücken zitterten ganz leicht im Luftzug ihres gemeinsamen schweren
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