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Cherubim

Cherubim

Titel: Cherubim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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darauf warteten, dass er mit verschwitzten Haaren wieder zu ihnen kam, jeglicher Mut und auch die Manneskraft verlassen. Mit vor Verlegenheit flammend roten Wangen hatte er Maria einige kleinere Münzen in die Hand gedrückt und war zu seinen feixenden Gefährten zurückgekehrt, wobei er natürlich ganze Kaskaden von Hohn und Spott über sich hatte ergehen lassen müssen.
    Nach diesem Reinfall war Maria frustriert nach Hause gekommen, hatte das Fenster geöffnet und war dann unter ihre Decke gekrochen, weil sie völlig durchgefroren gewesen war. Offenbar musste sie danach recht schnell eingeschlafen sein, denn sie hatte die Läden nicht wieder geschlossen.
    Dass beide Fensterläden jetzt noch sperrangelweit aufstanden, erfüllte Maria mit Wut, und sie konzentrierte sich auf diese Wut, erforschte und ergündete sie, weil sie hoffte, die blitzartigen Erinnerungen würden sie auf diese Weise in Ruhe lassen. Sie war wütend auf sich selbst, weil sie es vergessen hatte, die Fenster zu schließen, aber sie war auch wütend auf Dagmar, denn sie begriff, dass die Freundin bei der Auswahl ihrer Freier eine glücklichere Hand besessen hatte als sie.
    Maria setzte Mimi auf ihr Kopfkissen, dann wappnete sie sich gegen die Kälte, stellte ihre Füße zurück auf die Dielen und stand auf. So rasch es ging, hüpfte sie zu ihren Schuhen, die sie an der ihrem Bett gegenüberliegenden Wand abzustellen pflegte. Mit einemleisen Fluchen schlüpfte sie hinein. Das brüchige Leder war natürlich genauso kalt wie der Fußboden.
    »Verdammter Mist!«, fluchte Maria.
    Die Tauben regten sich unter ihrem Tuch, aber auch hinter dem verschossenen Vorhang, mit dem die beiden Frauen ihre kleine Kammer in zwei Hälften teilten, raschelte es. Maria streckte die Hand aus und zog den Stoff zur Seite. »Dagmar?« Sogar in den Falten des Vorhangs glitzerte der Raureif.
    Marias Blick fiel auf die wenigen Habseligkeiten ihrer Freundin. Das schmale Bett mit der strohgefüllten Matratze und der hundertfach geflickten Decke, das uralte Nachtkästchen mit der Waschschüssel darauf, deren Glasur nur noch aus Rissen zu bestehen schien. Den Haken an der Wand, an dem der einzige Rock hing, den Dagmar außer jenem, den sie jede Nacht am Leib trug, noch besaß.
    Das Bett war unberührt, nur eine Maus huschte quer über den Fußboden und verschwand in einem Loch in der Fußleiste.
    Maria presste die Lippen zusammen, weil ein Anflug von Neid sie überkam. Dagmar blieb fast nie bis zum Morgengrauen weg. Eigentlich taten sie beide das nur, wenn es ihnen gelang, einen reichen und noch dazu unverheirateten Freier zu ergattern, der sie die ganze Nacht über in seinem warmen Bett bleiben ließ. Was überaus selten vorkam.
    Mit vor Kälte zitternden Lippen schlug Maria ein Kreuz über sich und gelobte, dieses Gefühl von Neid bei der nächsten Beichte dem Priester zu offenbaren. Zwei Ave Maria würde sie dafür wohl als Buße erhalten.
    Sie hatte gerade die Hand nach dem Vorhang ausgestreckt, um ihn wieder zuzuziehen, als die Worte sie überkamen und in ihr widerhallten wie in einem riesigen, leeren Bronzegefäß.
    Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.
    Sie schlug die Hände vor den Mund und wimmerte auf.
    So schnell sie konnte, stürzte sie zu Mimi, riss sie an sich und presste sie gegen die Wange. Der Geruch von altem Stroh und Staub, den die Puppe aussandte, kitzelte in der Nase, doch Maria sog ihn ein wie eine schmerzstillende Droge, ohne die sie nicht zu leben vermochte.Der Schmerz in ihrer Nase war nur noch eine ferne Empfindung hinter dem Grauen, das sie verspürte.
    Ich bin Jahwe ... setzte die tiefe Stimme ein zweites Mal an, doch dann brach sie ab.
    Zitternd vor Kälte und Entsetzen fiel Maria auf ihr Bett, zog die Beine vor die Brust, kniff die Augen zu und klammerte sich an Mimi fest, als hinge ihr Leben davon ab.

4. Kapitel
    Das südliche Ufer der Pegnitz war nahezu vollständig zugebaut, so dass Bruder Guillelmus und Katharina in die Gassen jenseits der Kaufmannshäuser ausweichen mussten, um das Kloster zu erreichen.
    Der Mönch führte Katharina durch das Ledersgässlein, wo er dem Schild eines kleinen Wirtshauses, das einen Bären im Wappen führte, einen gleichzeitig sehnsüchtigen und missbilligenden Blick schenkte.
    Beim Lederhaus waren trotz der frühen Stunde die Geschäfte bereits in vollem Gange. Katharina sah zwei Männer um einen Stapel gegerbter

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