Cherubim
gestand er dann. Plötzlich wirkte er nicht mehr befangen, sondern angespannt. Katharina sah, wie er die Hände zu Fäusten ballte.
»Denkt Ihr noch oft an die Geschehnisse vom August?«, fragte sie.
Richard legte den Kopf zur Seite. Seine langen Haare waren noch immer mit dem Lederband zu einem Zopf gebunden. Er langte nach hinten über die Schulter und löste den Knoten. Wie eine Flut aus seidigen Strähnen fielen die Haare auseinander. Richard schüttelte sie. »Manchmal«, meinte er dann.
»Ich auch. Es wird nur langsam besser. Es ist noch immer schwer zu ertragen.«
Er strich sich eine Strähne fort, die ihm in die Augen geraten war. »Das glaube ich Euch. Ihr habt sehr viel mehr verloren als ich. Für mich ist die ganze Sache mit dem Engelmörder ja eher gut ausgegangen.«
»Ihr wurdet verletzt!«, erinnerte Katharina ihn. Es fiel ihr schwer, seinen Glauben an ein gutes Ende zu teilen.
»Stimmt. Aber ich durfte Euch das Leben retten. Und dadurch konnte ich meine inneren Dämonen besiegen.«
»Genau das sagtet Ihr mir schon einmal.«
»Und es stimmt.« Er schwieg einen Moment.
Katharina wartete, bis er weitersprach.
»Wenn ich meine Studien nicht betrieben hätte, hätte ich Euch im August nicht helfen können.«
Er hatte sie wiederbelebt, nachdem sie während ihrer Hexenprobe beinahe ertrunken wäre.
Katharina nickte. »Die Erkenntnisse Eurer Forschungen haben Euch das Wissen verschafft, mir das Leben zu retten. Und das reicht dafür, Euch die Angst vor dem Fegefeuer zu nehmen?«
Ein schüchternes Lächeln umfing seine Mundwinkel. »Es ist genug, ja.« So schlicht sprach er das aus, dass Katharinas Kopf einen Moment brauchte, um den Sinn hinter den Worten zu verstehen. Doch als das geschehen war, machte ihr Herz einen Hüpfer. Zögernd trat sie ein Stück auf Richard zu. »Ist es das?« Sie sehnte sich danach, von ihm umarmt zu werden.
»Ja.« Er musste sich erneut räuspern. Auch er kam einen Schritt näher. Für den Moment war der brennende Ausdruck aus seinen Augen verschwunden.
Katharinas Herzschlag beschleunigte sich noch einmal.
Dann standen sie ganz dicht beieinander. Katharina konnte Richards Atem spüren, der ihr sanft über die Stirn und den Teil des Scheitels strich, der nicht von ihrer Haube bedeckt war. Am ganzen Körper richteten sich ihre Haare auf. Sie sog Richards Geruch ein. Er hatte sich mit irgendeiner herben Substanz parfümiert, aber das schien schon Stunden her zu sein, denn der Duft war nur noch überaus schwach wahrzunehmen.
Das Erste, was Richard von ihrem Körper berührte, war ihr Zeigefinger. Ganz zaghaft näherte er seine eigene Hand der ihren, die neben ihrem Körper herabhing, als gehöre sie nicht zu ihr. Ein Kribbeln durchzuckte Katharina. Es rann durch ihre Hand, den Arm hinauf, ins Genick und von dort wieder hinunter bis zum Rückgrat und dann in die Kniekehlen.
Richard verharrte. Als Katharina sich ihm nicht entzog, umfasste er ihre Hand richtig, verschränkte ihre Finger mit den seinen, und das Kribbeln in Katharinas Körper gewann an Intensität.
Sie legte den Kopf in den Nacken, denn Richard stand jetzt so dicht vor ihr, dass sie zu ihm aufsehen musste. Sein sorgfältig gestutzter Bart war direkt vor ihren Augen. Leicht senkte Richard den Kopf, so dass ihre Nasen nur noch einen Fingerbreit voneinander entfernt waren. Sein Atem strich über ihre Lippen. Das Kribbeln wurde fast unerträglich.
Und dann, ganz sanft nur, legten sich seine Lippen auf die ihren. Seine Haut war wärmer als ihre, und sie schmeckte ganz leicht salzig. Katharinas Knie begannen zu zittern, und sie wäre getaumelt, wenn Richard nicht ihre Hand losgelassen und die Arme rechtzeitig um ihren Oberkörper geschlungen hätte. Noch immer zaghaft zog er sie an sich, hielt sie umfangen, als sei sie kostbar und zerbrechlich wie hauchdünnes Glas. Katharinas Körper sehnte sich danach, fester gehalten zu werden, fester geküsst zu werden. Doch Richard löste seine Lippen von den ihren. Für einen Moment blieb er regungslos stehen, sah Katharina nur in die Augen. Und alles Flackern, das sie zuvor darin wahrgenommen hatte, war fort.
Er lächelte. »Du hast meine Dämonen vertrieben, Katharina Jacob«, sagte er leise. »Und dafür danke ich dir.«
Sie wusste nicht, wie sie das angestellt hatte, aber sie fühlte plötzlich, dass auch er ihr half, ihre Spinnweben zu kontrollieren. Für den Augenblick waren sie gänzlich fort, war das winzige Biest, das sie spann, zurück in seinen dunklen Winkel
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