Chicagoland Vampires: Ein Biss zu viel (German Edition)
stillschweigend zum Mitglied geworden?
»Nein, Merit, das weiß ich nicht«, entgegnete er. »Ich weiß nur, dass du gerade angedeutet hast, schon jetzt für die Rote Garde tätig zu sein.« Er trat an mich heran und sah auf mich herab. »Willst du wissen, warum du Mitglied werden solltest? Weil du zum ersten Mal in deinem Leben einen Partner hättest. Du hättest jemanden an deiner Seite, der dir auf Abruf zur Verfügung stünde und jederzeit bereit wäre, dich in allem zu unterstützen und dir bei all deinen Aufgaben zu helfen.«
Damit lag er falsch. Als Ethan noch lebte, hatte ich einen Partner an meiner Seite.
»Ich arbeite bereits mit dir«, widersprach ich ihm.
»Du arbeitest mit mir, weil du keine anderen Optionen hast. Wenn Ethan noch lebte oder ihr eine zusätzliche Wache im Haus hättet, dann würdest du dich für diese Alternative entscheiden.«
Da konnte ich ihm kaum widersprechen.
»Aber jetzt kommt der Clou«, sagte er. »Zum ersten Mal in deinem Leben hättest du die freie Wahl. Du bist bewusstlos in das Haus Cadogan gezerrt worden. Du wurdest zur Hüterin ernannt, ohne dich dagegen wehren zu können.«
Er senkte den Kopf, und seine Lippen berührten fast mein Ohr. Es war eine vertrauliche Geste, aber sie fühlte sich nicht wie eine Anmache an. Jonah versuchte nicht, mich rumzukriegen – er wollte mir nur klar zu verstehen geben, wie nahe wir uns bereits standen. »Es wäre deine Entscheidung, der Allgemeinheit zu dienen.«
Er hatte recht. Damals hatte ich die Wahl nicht gehabt, die er mir jetzt bot. Ich musste mir eingestehen, dass er damit ein überzeugendes Argument lieferte.
Das wusste er offensichtlich auch, denn er richtete sich ohne ein weiteres Wort auf und ging weiter.
»Das war’s?«
Er sah über die Schulter zu mir zurück. »Das war’s. Die Entscheidung liegt ganz bei dir, Merit.«
Als er in seinen Wagen stieg und wegfuhr, atmete ich tief durch. Rote Garde oder nicht Rote Garde, das war hier die Frage.
Da der See immer noch schwarz und regungslos dalag, freute ich mich nicht darauf, Kelley im Haus Bericht zu erstatten. Aber immerhin hatten wir einen Plan, und wenn irgendjemand in Chicago einen Hubschrauber besorgen konnte, dann mein Großvater.
Als ich vor dem Haus ankam, hatten sich die Demonstranten nicht nur vermehrt, sondern waren auch lautstarker als zuvor. Auf ihren Schildern prangten noch deutlichere Warnungen vor dem nahenden Höllenfeuer und der ewigen Verdammnis. Auf den handgemalten Plakaten standen nun Worte wie »Apokalypse« oder »Armageddon«, genau wie wir befürchtet hatten. Und um ehrlich zu sein, konnte ich es ihnen nicht verübeln. Selbst ich war mir nicht im Klaren darüber, warum der See schwarz geworden war und Magie in sich hineinsaugte, und daher war das Ende der Welt durchaus eine von mehreren Möglichkeiten. Es stand auf der Liste sicherlich recht weit unten, aber es stand dennoch auf der Liste.
Die Demonstranten waren nicht als Einzige mit einem Großaufgebot vertreten. Wir waren schon seit geraumer Zeit ein beliebtes Ziel für foto- (und geld-)gierige Paparazzi, und in der Regel standen sie in Heerscharen an einer Ecke unseres Anwesens. Heute säumten auch noch Ü-Wagen die Straße, in denen Journalisten nur darauf warteten, dass die Vampire irgendwelchen Unsinn trieben. Alles, was in unserer Stadt schieflief und auch nur im Entferntesten übernatürlich war, ließ sie jedes Mal vor unserem Haus auftauchen – was übrigens ein gutes Argument dafür war, auch alle anderen übernatürlichen Gruppen der Öffentlichkeit vorzustellen, was wiederum den Beschuss möglicherweise erst mal von uns nahm.
Die Journalisten kannten mich, nicht nur, weil ich Patrouille auf dem Anwesen lief, sondern auch, weil ein Zeitungsbericht erschienen war, in dem ich den Spitznamen »Schöne Rächerin« erhalten hatte, und bombardierten mich daher mit Fragen.
Natürlich hatte ich kein Interesse daran, diesen Sensationsjournalismus auch noch zu unterstützen, aber ich kam zu dem Schluss, dass ihre Theorien nur noch verworrener werden würden, wenn ich ihnen nicht Rede und Antwort stünde. Also ging ich zum größten Gedrängel hinüber und nickte ihnen kurz zu, bevor ich fragte: »Anstrengende Nacht heute, nicht wahr?«
Einige lachten, andere begannen sofort Fragen zu brüllen.
»Haben die Vampire den See vergiftet?«
»Ist Chicago seit heute dem Untergang geweiht?«
»Ist das die Erste Plage?«
Es fiel mir schwer, bei diesen Fragen nicht die Augen zu verdrehen,
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