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Chimären

Chimären

Titel: Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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Tag verstrich träge. Lux döste apathisch vor sich hin. Sein nur halb geleerter Napf war längst wieder abgeholt worden, nur das Wasser hatte man ihm gelassen.
      Einmal patrouillierte die Wärterin durch den Gang. Vor seiner Zelle blieb sie stehen, betrachtete ihn einen Augenblick und sprach ihn an: „Ich glaube, du bist krank. Liegst hier so rum, frisst schlecht, und dieser Kopf… Wer sollte so einen nehmen? Wenn mich einer fragt: Einschläfern. Wir brauchen Platz und keine Fresser.“
      ‚Einschläfern’, sann Lux den Worten nach. ,Einschläfern…?’ Er wusste, dass dies etwas außerordentlich Bedrohliches sein musste und dass er seine Zurückhaltung, was seine Andersartigkeit betraf, seine Fähigkeit, zu sprechen, würde bald aufgeben müssen.

    D ie alleinstehende Frau Sabine Nachtigall galt in der Nachbarschaft als eine etwas wunderliche, aber durchaus rüstige ältere Dame. Seit vor Jahren ihr Mann, ein mittlerer Beamter bei der Post, verstorben war, hatte sie sich in ihr kleines Anwesen zurückgezogen, pflegte keine Freundschaften, und selbst den zwischen Nachbarn üblichen Tratsch mied sie. Einkaufen in den nahen Markt ging sie zu Zeiten, zu denen wenig Begängnis herrschte, und die wenigen größeren Besorgungen ließ sie sich über den Versandhandel ins Haus bringen. Den kleinen Garten pflegte sie, jedoch nicht mit der allenthalben ausgeprägten Wetteifer-Akribie von Häuslern.
      Ihr Ein und Alles aber war Benno, ein Deutscher Schäferhund, den sie abgöttisch pflegte und hätschelte, ohne ihn jedoch fett zu füttern. Natürlich durfte er ins Haus, zu ihren Füßen ins Bett, und er bekam auserwählte Nahrung. Tagsüber war der Garten sein Reich. Sehr früh am Morgen oder nach Einbruch der Dunkelheit abends gab’s an schönen Tagen auch manchmal längere Spaziergänge um’s Wohngeviert.
      Jedoch – Benno hatte seine 15 Jahre auf dem Buckel, und eines Tages ging’s mit ihm nicht mehr. Der ins Haus gerufene Tierarzt stellte eine akute Kreislaufschwäche fest und empfahl zum Herzeleid der Besitzerin, das Tier von seiner hoffnungslosen Krankheit zu erlösen. Voller Weh stimmte Sabine Nachtigall, um ihren Liebling nicht länger leiden zu lassen, zu. Seitdem aber lebte sie noch zurückgezogener und ward oft tage

    lang nicht mehr gesehen. Selbst den Garten begann sie zu vernachlässigen.

    Herr Schäfer, der linke Nachbar von Sabine Nachtigall, kam kurz nach Mitternacht vom monatlichen Kegelabend nach Hause – des zu solchem Anlass nötigen Bieres wegen mit dem Fahrrad. Aber als Bester des Abends mit drei Full house, was gebührend gefeiert wurde, schob er sein Gefährt vorsichtshalber.
      Als er sich an seinem Gartentor zu schaffen machte, gewahrte er durch seinen üppigen Fliederstrauch einen merkwürdigen Lichtschein auf dem Nachbargrundstück. Schon wollte er seine Wahrnehmung dem Biergenuss zuschreiben, als Glas klirrte.
      Herr Schäfer stellte das Fahrrad vorsichtig ab. Augenblicklich schien ihn der leichte Alkoholschwindel verlassen zu haben. Er ging auf Zehenspitzen bis zum Zaun des Nachbargrundstückes, und in der Tat, eine dunkle Gestalt machte sich in gebückter Haltung an einem der Kellerfenster an der Vorderfront des Hauses der Frau Nachtigall zu schaffen.
      Herr Schäfer, nicht der Mutigste, blieb außerhalb des Gartens, überlegte kurz. Dann fingerte er nach seinem Mobiltelefon, zog sich hinter den Busch zurück und betätigte den Notruf. Nervös wartete er.
      Der Streifenwagen bog in wenigen Minuten um die Ecke, erstaunlicherweise ohne Blaulicht und Sirene.
      Herr Schäfer trat auf die Straße und machte sich bemerkbar, indem er beide Arme über dem Kopf hin und her schwang.
      Mit abgeschaltetem Motor und gelöschtem Licht rollte der Wagen aus. Zwei Beamte stiegen aus, und sie knallten nicht mit der Tür.
      Herr Schäfer wies zum Haus, hielt sich hinter den Männern, stieg nach ihnen über den niedrigen Zaun, und sie pirschten sich zum eingeschlagenen Kellerfenster.
      Die beiden Ordnungshüter stiegen ein, Herr Schäfer wartete ungeduldig und mit einiger Furcht. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, als endlich von drinnen ein Tumult, Rufe zu hören waren und im Haus Lichter angingen.
      Nach einer Weile wurde die Eingangstür von innen geöffnet. Die beiden Polizisten traten heraus, zwischen ihnen ein schwarz gekleideter Mann in Handschellen, hinter den dreien Frau Nachtigall im Bademantel und mit einer Nachthaube auf dem Kopf, unter der ein

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