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Chimären

Chimären

Titel: Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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die Luft, als ob der Genannte entflogen wäre.
      „Es ist eine Sie“, sagte Ede lakonisch.
      Der andere stutzte, betrachtete dann eingehend Schäffi. „Meinetwegen“, brummelte er.
      „Wann war das?“, fragte Shirley drängend.
      „Ich wollte seinetwegen sogar mein Schiff sausen lassen. Ich bin nämlich Kapitän! Nemo, mein Name.“ Er deutete eine Verbeugung an.
      „Gut, gut, Herr Nemo. Wann war Lux hier und wohin, in welche Richtung ist er gelaufen?“, fragte Shirley ungeduldig.
      „Ah“, sagte da Nemo gedehnt, und es klang, als sei ihm eine Idee gekommen. „Wenn der auch reden kann…“, er zeigte wieder auf Schäffi.
      „Sie“, warf Ede ein.
      „… dann könnt’ ich doch mit ihm… Kann sie auch Kunststücke? Salto und so?“
      Boris lachte. Er machte gleichzeitig eine besänftigende Handbewegung in Richtung Shirley, um Zurückhaltung werbend. Er spürte, dass man mit dem wunderlichen Alten besser zurecht käme, wenn man auf seine Marotten einging. „Sie ist noch in der Ausbildung“, sagte er, „und wenn sie fertig ist, dem Zirkus Sarasani zugesagt. Da ist nichts mehr zu machen.“
      „Dem Zirkus Sarasani, hm.“ Das hörte sich anerkennend und enttäuscht zugleich an. Er wiegte den Kopf. „Immer die Großen. Unsereins…“ Er winkte ab.
      „Mit Lux ist das genau so“, spann Boris weiter. „Der ist nur ein wenig ungezogen, wie es Jungs so drauf haben. Nun hat er heute einen wichtigen Termin, deshalb suchen wir den Stromer. Er wird ganz schönen Kohldampf gehabt und tüchtig zugelangt haben. Hier – für neues Cornedbeef.“ Boris überreichte dem Alten einen Zehn-Euro-Schein, den dieser, ohne einen Blick darauf zu werfen, in die Jackentasche stopfte.
      „Ja, gestern, so in der elften Stunde wird’s wohl gewesen sein. Wir haben gefrühstückt, uns ein wenig unterhalten, dann habe ich ein kleines Nickerchen gemacht. Es war eine unruhige Nacht, müsst ihr wissen. Immerzu Blaulicht und Geheule oben.“ Er zeigte mit dem Daumen auf die Unterseite der Brücke. „Als ich aufwachte – weg war er. Wohin, weiß der Teufel.“
      „Und Herr Ede?“, fragte Boris eindringlich.
      „Der war doch gestern gar nicht da.“
      „Hm!“ Einen Augenblick dachte Boris, dass er hätte den Schein sparen können.
      Shirley zog eine Grimasse. „Na, schönen Dank auch!“, sagte sie.
      Boris nickte den beiden Clochards grüßend zu. „Ich halte den Daumen, Käptn, dass das Schiff bald kommt.“
      „Ja, mach’ das für mich, mein Junge!“ Er nahm die Zeitung wieder auf, und Ede rollte sich auf die Decke.
      Shirley und Boris sahen sich an. Die Frau hob die Schultern.
      „Such bitte, Schäffi“, bat Boris.
      Und die Hündin lief gehorsam spornstreichs mit der Nase auf dem Boden am Flussufer stromaufwärts.
      Shirley betätigte das Mobiltelefon: „Suche in Richtung Helfenberg konzentrieren, nördlich vom Fluss. Wir haben eine Spur.“

    L ux wartete diesmal lange, bevor ihm die Gelegenheit, auf ein Schiff zu kommen, günstig erschien. Er hatte sich entschlossen, zur Stadt zurückzukehren mit dem vordergründigen Gedanken, dort seien die Gelegenheiten, Neues, Chancen kennen zu lernen, besser, als in einer derart kleinen Siedlung. Nicht eingestehen wollte er sich, dass man von dort aus schneller und unproblematischer zum Institut zurückkehren könnte, falls…
      Als das dritte Schiff anlegte, es war bereits fortgeschrittener Vormittag, entschloss sich Lux zum Handeln.
      Ein Mann wollte zusteigen, der eine gelbe Armbinde mit drei schwarzen Punkten trug. Lux erinnerte sich: eine Kennzeichnung Sehbehinderter, auf die Shirley immer wieder aufmerksam gemacht hatte, im Zusammenhang mit segensreichen Partnerschaften zwischen Menschen und Hunden. Diesen Mann begleitete ein solcher nicht. Lux machte sich an ihn heran, berührte beinahe das Bein des Mannes, als er sich an dessen Seite an dem Schiffsbediensteten vorbeidrückte. Und obwohl dieser ihn gesehen hatte, verlief das Manöver unbeanstandet. Der sehbehinderte Mann hatte von all dem nichts bemerkt.
      Lux nahm erneut einen Platz unter den Bänken ein. Und obwohl er einschätzte, dass der erste Tag durchaus ereignisreich gewesen sei, war er keineswegs zufrieden. Noch immer befand er sich auf einem ziellosen Weg, hatte nicht die geringste Vorstellung, was weiter zu unternehmen sei und in den nächsten Stunden geschehen solle. Was könnte er, kehrte er schon heute zurück, Schäffi

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