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Chimären

Chimären

Titel: Chimären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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leibhaft getroffen, sehr unsympathisch gewesen wäre.
      Er hätte auch nicht zu sagen vermocht, ob ihm das, was ihm nun widerfuhr, ausnehmend genehm gewesen wäre. Dass die Frau ihn Benno nannte, nahm er zunächst hin in der Gewissheit, es schnell ändern zu können. Aber dass sie ihn, zuvorkommend zwar und fürstlich wie einen Luxushund behandelte, nervte beträchtlich. Zunächst wurde er gebadet, gefönt und gebürstet – nun gut, nach den Strapazen der letzten Tage, insbesondere dem Aufenthalt im Käfig, nicht unangenehm. Er bekam ein riesiges Steak, das Frau Nachtigall media anbriet, zur besseren Verdauung, wie sie sagte. Und zum Nachtisch sozusagen gab es jede Menge Streicheleinheiten. Während all dieser Verrichtungen führte sie, nur wenig unterbrochen, einen einseitigen Dialog.
      Lux hatte sich zunächst entschieden, sich zum einen zurückzuhalten, wenigstens so lange, bis er meinte, die Reaktion der Frau Nachtigall auf seine Fähigkeiten einschätzen zu können. Zum anderen war er sich keineswegs sicher, ob der Aufenthalt bei ihr das sein könnte, was er sich vorgestellt hatte. Und schließlich blieb der Vorsatz, über kurz oder lang zum Institut, zu Schäffi, zurückzukehren, unerschütterlich. Er ahnte aber bereits nach den wenigen Stunden, die er sich im Hause der Frau Nachtigall aufhielt, dass er sie sehr enttäuschen würde, wenn er sie verließe.
      Am Nachmittag ging Frau Nachtigall einkaufen, und sie nahm Lux mit. Befremdet ließ er sich einen Maulkorb umschnallen und vor dem Markt anleinen. Auf dem Weg hatten sie mehrere Nachbarn getroffen, die freundlich grüßten, und einige brachten ihr Erstaunen zum Ausdruck, Frau Nachtigall wieder einmal zu treffen. Und diese wies mehrmals stolz ihren neuen Freund Benno vor. Lux entging jedoch nicht, dass einige der Leute seinen Kopf fixierten und danach das Duo Nachtigall-Benno mit einem gewissen Mitleid betrachteten.
      Als Frau Nachtigall nach dem Einkauf Lux’ Leine vom Geländer löste und ihm gleichzeitig mit dem Bemerken „den brauchst du doch nicht!“ den Maulkorb abnahm, schnappte sich Lux zur Überraschung der Frau Nachtigall und einiger Passanten den Griff des abgestellten Rolli und schob diesen vor sich her.
      „Na, du bist mir einer“, rief Frau Nachtigall kopfschüttelnd, ließ ihn gewähren und trippelte stolz hinter ihm her.
      Frau Schäfer, die Nachbarin, sah über dem Zaun den beiden entgegen. „Na so was“, rief sie.
      „Da kann man mal sehen, was so ein Einbruch auch Gutes bewirken kann. Mit dem haben Sie einen guten Fang gemacht. Schön auch, dass man Sie wieder sieht.“
      Lux überdachte das kleine Erlebnis. Er konnte sich auf einmal gut vorstellen, dass zwischen seinesgleichen und Menschen Partnerschaften entstehen könnten, zum Nutzen beider. Man könnte eigene Geborgenheit und Fürsorge gegen Dienste verschiedener Art tauschen, zum Beispiel selbstständig Besorgungen innerhalb und außerhalb der Wohnbereiche erledigen, Objekte bewachen, Behinderte und Gefährdete begleiten und… ‚Freilich, ständig mit einer älteren Frau zusammen leben könnte für mich auf die Dauer langweilig werden. Aber im Allgemeinen… Außerdem sind wohl individuelle Neigungen ausschlaggebend. Also hatte Shirley doch Recht, als sie versprach, jeder fände seinen Platz?’
    Frau Nachtigall schlief im Sessel.
      Lux döste und empfand dieses Nichtstun als durchaus angenehm, obwohl ihn das unbestimmte Gefühl beschlich, dass er eines Tages, vielleicht schon bald, in den immerwährenden Widerspruch zwischen faulem Hundeleben und kreativem Menschsein geraten werde.
      Die Türglocke schlug an.
      Lux stand auf und knurrte pflichtschuldig, blickte jedoch abwartend auf Frau Nachtigall, die aufschreckte und offensichtlich Sekunden benötigte, um ins Geschehen zu finden. „Was… Wer soll das sein?“, fragte sie ein wenig verwirrt und strich sich übers Haar.
      Es läutete zum zweiten Mal.
      „Ich komm ja schon“, brummelte Frau Nachtigall und ging zur Tür. „Bleib du hier“, sagte sie an Lux gewandt.
      Lux stand und sog die Luft ein. Ein ganz leichter, nicht unbekannter Ruch lag darin, den er nicht zuzuordnen wusste.
      Frau Nachtigall öffnete die Haustür. Davor standen zwei unbekannte Männer.
      „Frau Nachtigall?“, fragte der eine.
      „Ja?“
      „Sie haben einen Hund? Dürfen wir den einmal sehen?“
      „Ich wüsste nicht… Wer sind Sie überhaupt?“ Frau Nachtigall reagierte

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