Chimären
Lehmann – werden hübsch – bei Strafe des eigenen Untergangs – auf unsere Bedingungen eingehen.“
„Welche Bedingungen?“ Jetzt konnte Susan nicht vermeiden, dass die Frage heftig klang.
„Nun, das ist nicht deine Sache“, antwortete er ruhig. „Du wirst schon das tun, was ich dir zugedacht habe!“
„So – werde ich!“, rief sie höhnisch. „Und was wäre das, Herr Lux?“ Aber sie nahm sich sogleich zurück. Der letzte Satz musste allzu verächtlich geklungen haben.
Der Besucher reagierte darauf nicht. Er fuhr ruhig fort: „Sieh dir unsere Hände an.“ Er hielt demonstrativ die Vorderextremitäten empor. „Und da sind meine noch ganz passabel ausgeprägt. Ja, sie haben sich mit den Hirnen befasst, deine Damen und Herren, nicht achtend, dass eine Zentrale ohne Motorik ist wie ein, ein…“ Aber diesmal fiel ihm keine Metapher ein. „Es fällt uns sehr schwer, Tastaturen zu bedienen – noch, bis artgerechte produziert werden. Das wirst du für uns – vorwiegend für mich – besorgen. Das ist alles. Es soll dir an nichts fehlen. Selbstverständlich lasse ich dir neue Kleidung beschaffen. Und wenn du dich einigermaßen loyal verhältst, räume ich dir gewisse Freiheiten ein. Allerdings, die Festung verlässt du nicht. Sage mir also, was du…“
„Welche Festung, um alles in der Welt!“, unterbrach Susan heftig.
Lux schwieg verdutzt. „Äh“, stammelte er, „der Ort, an dem wir uns befinden, eben.“
,Eine Festung’, dachte Susan bestürzt. Man hatte ihr den Sack erst nach längerem Stolpern über Treppen, Pflaster und Wege in dem Raum, in dem sie sich befand, abgenommen. „Was für eine Festung, verdammt noch mal!“
„Eine Festung eben.“ Sie merkte dem Besucher an, dass ihm der Lapsus unangenehm war.
„Na, lass gut sein, du Schlauberger. Unsere Leute haben längst meine Anrufe von dieser Nacht zurückverfolgt und wissen jetzt, wo ich mich befinde. Kindisch, mir den Sack überzustülpen. Lange wird es ohnehin nicht dauern, bis sie mich hier heraus holen.“
„Dass du dich nur nicht irrst!“ Lux lehnte sich zurück. Die Geste hatte etwas von einer Paarung zwischen überheblich und selbstbewusst.
„Ein Fingerschnippen genügt doch, um euch auszulöschen.“
„Ja – schwer wäre es in der Tat nicht, uns… Aber dein großes Institut, alle deine einflussreichen Auftraggeber gingen mit uns. Aus mit Welt ruhm, Karriere und dem großen Geld. Stell dir vor, in allen Zeitungen, im Fernsehen erschiene ein Gruppenbild von uns, wir gingen in die Öffentlichkeit. Was meinst du, wie die Zeitungen darauf reagieren würden? Ich höre schon den Aufschrei der Moralisten. Kannst du dir vorstellen, wie man über die Verursacher herfällt? Weißt du, gegen wie viele Verbote mit unserer – Herstellung verstoßen wurde?“
Susan schwieg. Hatte er Recht? Ihr wurde bewusst, dass der andere offenbar über ein weit tieferes Wissen um Zusammenhänge verfügte, die sie nunmehr lediglich nur vage erahnen konnte.
„Also wollt ihr nicht an die Öffentlichkeit?“, fragte sie zaghaft.
„Nicht, wenn man uns nicht zwingt.“
„Was aber wollt ihr dann?“
„Darüber zu sprechen, mit dir zu sprechen, ist es zu früh. Also, was ist. Hilfst du mir?“
Susan zögerte mit der Antwort. Dann zuckte sie mit den Schultern. „Es wird mir wohl anderes nicht übrig bleiben.“
D as ausgedehnte Plateau lag in hellem Mondlicht. Die Zinnen der nach innen niedrigen Mauer warfen lange Schatten. Wuchtig ragten die trutzigen Fassaden der Georgenburg und des Torhauses gegen den fahlen Himmel. Die Blätter der alten Buchen raschelten leise im Nachthauch. Matter Taufilm hatte den Glanz von den Rohren der musealen Kanonen genommen.
Aufmerksam trippelte Lux – ab und an verhaltend, lauschend – im dunklen Winkel zwischen der steinernen Brüstung und Bodenfläche. Um einen aufrechten Gang mühte er sich, da keiner ihn sah, nicht. An der Schießscharte für die vordere große Kanone – aus der nach den Überlieferungen niemals ein Schuss abgefeuert worden war – stellte er sich auf die Hinterbeine und spähte nach unten. Der Fluss ließ sich nur erahnen; eine dichte Dunstschicht lagerte im Tal. Die klobigen Felsen am gegenüberliegenden Ufer bildeten eine gezackte schwarze Silhouette.
Ohne den Kopf zu wenden, konzentrierte sich Lux auf die kaum wahrnehmbaren Geräusche der sich nähernden Wachpatrouille. Er sog die Luft in kurzen
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