Chindi
blieb ihm nur noch ein Luftvorrat für sechs Stunden in seinen Sauerstofftanks.
Die Fertigmahlzeiten für das Personal der Akademie waren nicht übel, und so genoss er Mandarinsteak, Fleischklöße, Teriyaki vom Huhn und Schmortopf Gulliver. Er hatte Schinken-Tomate-Sandwiches, Bratensandwiches, und er trank zu viel Wein.
Einige Male fing er an, ein Tagebuch zu schreiben, entschlossen, eine letzte Nachricht für wen auch immer zu hinterlassen. Die langen Nächte ohne Rettung, ohne irgendeine Erklärung dafür, warum niemand kam, um ihn zu retten, zermürbten ihn zunehmend. Allmählich neigte er zu der Überzeugung, dass er hier sterben würde. Dass er seinen Frieden mit dem Schöpfer schließen sollte.
Also schrieb er. Und er zeichnete.
Die Einträge, die er zur Kontrolle jeden Morgen las (er bestand darauf, seinen Tagesrhythmus auch an diesem zeitlosen Ort beizubehalten) klangen samt und sonders zornig und erbittert. Das war nicht der Ton, den er zu hinterlassen gedachte. Aber es fiel ihm schwer, sich heiter oder auch nur gelassen zu geben.
Seine Zeichnungen fingen, wie er dachte, die geisterhaften Räume und die Leere hinter den Türen ein. Er verlieh dem Werwolf menschliche Züge und erfüllte den Krieg zwischen den Luftschiffen mit Leidenschaft.
Sollte der schlimmste Fall eintreten, sollte die Memphis tatsächlich verloren sein, so wussten Mogambo und seine Longworth, in welcher misslichen Lage er sich befand. Seine letzte Information lautete, dass sich Mogambo den Zwillingen genähert hatte. Damit war er für seinen Commlink außer Reichweite.
Tor betrachtete den Zwischensender und wünschte, er hätte sich irgendwann mit Elektronik beschäftigt. Das Gerät war imstande, die Reichweite seines Signals enorm zu erhöhen. Aber erst musste der Chindi den Sprung durchführen, um das Ding scharf zu machen, oder wie immer man das nennen mochte. Jedenfalls würde es gar nichts übertragen, solange es sein Ziel nicht erreicht hatte.
Vielleicht dachte Mogambo, Hutch hätte ihn längst an Bord geholt. Wer konnte das schon wissen? Ihm verriet jedenfalls niemand irgendetwas.
Also wartete er, hoffte, endlich Hutchs Stimme auf dem Commlink zu hören. Irgendjemanden zu hören.
Irgendjemanden.
Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass die Bauweise von Banken und Kirchen, von den Hauptgebäuden großer Firmen und anderen öffentlichen Bauwerke so wuchtig ausfiel, strotzend vor Pfeilern und Gewölbedecken, dass die Gebäude so groß waren, um den einzelnen Besuchern ein Gefühl ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit zu vermitteln. Unausweichlich ergriff das Gefühl der Demut von einem Menschen Besitz, wenn er über die breiten Steinstufen des Hauptgebäudes der Amalgamated Transportation Corporation, Limited in London schritt.
Die endlosen Gänge des Chindi hatten einen ähnlichen Effekt. Er war für dieses Schiff, für seine Erbauer, seine Mannschaft oder seine Mission ohne jede Bedeutung. Wie das Universum außerhalb des Schiffs kümmerte sich auch der Chindi nicht um ihn. Er hätte sogar den Vandalen spielen und einen kleinen Schaden hinterlassen können, doch der bliebe bei aller Mühe winzig, viel zu klein, irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen, und am Ende würde ihn die schlichte Teilnahmslosigkeit des Schiffs erdrücken.
Wäre es möglich gewesen, er hätte unter den Sternen geschlafen. Aber die Sechs-Stunden-Grenze, die ihm die Tanks auferlegten, hielten ihn in seinem Basislager fest.
Irgendwann kam er zu dem Schluss, dass es nicht die beste Idee sein mochte, sich kilometerweit von der Luke entfernt aufzuhalten. Also baute er die Kuppel ab und brachte sie zur Hauptstraße, um sie in dem quer verlaufenden Gang, der sich beinahe direkt unter der Luke befand, wieder aufzustellen. Er musste einige Male hin und her wandern, um seine Ausrüstung, seine Vorräte, die Luft- und Wassertanks herzubringen. Aber als er fertig war, empfand er eine gewisse Zufriedenheit. Ihm gefiel es in der Nähe der Luke. Nicht nur, dass ihm ihre Nähe eine größere Chance einräumte, all das zu überstehen, er schlief auch besser, solange er wusste, dass der Weg nach draußen nur wenige Schritte weit war.
Kapitel 31
Wie ich dich liebe?… Ich liebe dich mit aller Leidenschaft der Leidenszeit und mit der Kindheit Kraft, die fort war, seit ich meine Heiligen nicht mehr geliebt.
Mit allem Lächeln, aller Tränennot und allem Atem. Und wenn Gott es gibt, will ich dich besser lieben nach dem Tod.
Elizabeth Barrett Browning,
Sonnets
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