Cholerabrunnen
mögliche Nachkommen halten, das konnte sie nicht mehr hören. Als dann auch noch Sebastian anfing… Na, sie schnappte sich René und fuhr einfach los. Der kaufte sich erst vor Wochen einen neuen und ziemlich schicken Audi der Oberklasse. Kam zu Geld, weil er im Internet ein Unternehmen gründete, einige Kunden angelte und dann alles zusammen meistbietend verkaufte. Zwar gab es eine Menge Ärger, denn der Datenschutz wurde ausgehebelt und die Gesetze, die man mühevoll versuchte auf den Weg zu bringen, griffen in diesem Fall einfach nicht, aber das Geschrei war groß, doch das störte weder Sabine noch René. Sie hatten eine herrliche Zukunft vor sich und… na ja, vielleicht könnte sie gar noch etwas herausbekommen. Nicht umsonst war vor Jahren ein Herr Mauersberger bei ihnen. Angeblich soll der noch leben. Im Onlinetelefonbuch steht er noch drin. Und die sollen sogenannte Karteileichen meist schnell entsorgen. Wenn’s stimmt… Sie schluckt bei dem Gedanken, selbst auch eine zu sein, wenn sie einmal tot ist. Alles bleibt eben vergänglich…
Nun stehen sie und ihr René, den sie wirklich liebt und der… zumindest so tut, als wäre es bei ihm ebenso, auf der Brühlschen Terrasse und schauen auf die Elbe.
„Mistwetter!“
Dieses Wort grassiert hier überall. Sie sah es schon auf einem Schirm und nun sind sie hier und ihr Schirm, der einzige, den sie mithaben, zerbrach vorhin während einer Sturmböe. Manchmal gibt es Tage, da könnte man doch nur… heulen.
Sie schluckt und gibt René einen Kuss.
„Komm, gehen wir ins Hotel!“
Ihre Augen verraten ihm sicher, was sie damit meint. Er schaut sie an… ist da eine Leere in ihm?
„Osten… ich sage ja, nichts los hier. Bisschen Stadt und Hotel. Na ja, wenigstens haben wir uns!“
Sie boxt ihm in die Seite und schon schlendern sie los. Auf der Münzgasse begegnen sie einem Mann, den Sabine irgendwoher kennt. Nein, sie kann sich einfach nicht erinnern. Vielleicht, so sagte einmal ein anderer Freund, mit dem sie… schon in eine gemeinsame Wohnung zog und nach einem Jahr feststellen musste, dass er immer, wenn sie nicht da war, andere Frauen in ihrem gemeinsamen Bett hatte, vielleicht gibt es wirklich nur ein paar wenige Typen bei den Menschen auf einem Erdteil, und so denkt man immer wieder, einen Bekannten zu treffen, obwohl es wirklich ein Wildfremder ist.
Sie dreht sich nicht um. Der Mann ist vorbei und beachtete sie gar nicht. Sicher täuschte sie sich wieder einmal.
„Guten Tag Frau Wagner, welche Überraschung!“
Hä? Nun macht Sabine doch einen Satz zurück und rennt fast einen gut gekleideten Herrn mit Stockschirm um, der ihre Entschuldigung erst mit düsterem Blick, dann doch mit einem vergebenden Lächeln annimmt, sich gleich die Gasse hinunter auf den Weg macht und ihr scheinbar nicht mehr böse ist.
„Ja, ähm… hallo!“
Sie schaut dem grau melierten Herrn ins Gesicht. Älter… ja, klar. Mauersberger. Wirklich! Heute Abend wollte sie ihn mal vom Hotel aus anrufen. Nun stehen sie sich schon gegenüber.
„Was verschlägt Sie denn bei dem Wetter nach Elbflorenz?“
Ihr Freund steht daneben und versteht gar nichts.
„Sag mal, wie war das mit ‚Ich kenne hier niemanden’?“
Ja, sicher. Dass sie einem der drei oder vier Personen, mit denen sie von der Polizei her und privat zu tun hatte heute über den Weg läuft und der sie auch noch erkennt…
„Habe ich mich denn gar nicht verändert?“
Verschmitzt lädt Mauersberger sie an seinen Tisch ein.
„Hmm… nun, wenn ich ganz ehrlich bin… und bitte nicht böse sein, aber ich dachte, Sie wären Ihre Mutter Veronika. Erst, als wir uns eben unterhielten und ich Ihren jungen Begleiter musterte, da fiel mir mein Irrtum auf. Entschuldigung. Sie sind Sabine Wagner, nicht wahr?“
Sie nickt. Nun, das war ein Schlag ins Gesicht. Und so, wie er vorgetragen wurde, darf sie nicht einmal sauer sein. Wie denn auch? Jeder in ihrem Umfeld behauptet schon ein, zwei Jahre, sie sähe ihrer Mutter dermaßen ähnlich.
„Ihr geht es aber gut, oder?“
Sie nickt. René schaut immer noch verdutzt, bestellt sich ein helles Weizen und beschließt, einfach nur zuzuhören.
„Also wirklich, Herr Mauersberger… ich wollte Sie heute Abend anrufen. Ganz ehrlich!“
Der alte Mann, der selbst auf diesem Kneipenstuhl gerade sitzt und dem man daher vielleicht zehn seiner vielen durchlebten Jahre gar nicht ansieht, nickt amüsiert.
„Ja, sicher. Nun, wir treffen uns ja, ist doch gut, oder?“
Sie
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