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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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abspielte.
    Volokine schubste ihn in den nächsten Raum. Ein rechteckiges Schwimmbad mit breitem gefliestem Beckenrand, aus dem Dampfschwaden aufstiegen, die ebenfalls rot beleuchtet wurden. Zwischen den schwebenden Dämpfen sah man Körper, die sich in einem unbeschreiblichen Gewirr umschlangen und an sich selbst oder an anderen herumspielten.
    Kasdan hoffte, dass das Wasser nur wegen der an der Decke hängenden Neonröhre rot gefärbt war. Statt auf Blut hätte er allerdings eher auf Sperma, Urin oder Kot getippt, so massiv überdeckte der üble Gestank den Geruch von Chlorreiniger. Es hatte den Anschein, als hätten sich sämtliche Schleusen des menschlichen Ausscheidungsapparats geöffnet. Die unscheinbarsten Öffnungen des menschlichen Körpers erinnerten durch ihre Ausscheidungen und Gerüche daran, dass sie und sie allein der Born der Lust waren.
    Bademeister in Badehose, Maske, Lederweste und Nagelhalsband beaufsichtigten die Badenden. Kasdan musterte die Gesichter der Menschen, die sich im Wasser treiben ließen. Ihre Augen. Ihre Münder. Er fragte sich, ob er diese Leute schon früher einmal gesehen hatte. Ob sie miteinander gesprochen hatten, ehe sie in den Kampf zogen. Diese Leiber schlangen sich um der Lust willen ineinander, aber er konnte nicht umhin, darin etwas Tragisches zu erkennen. Eine Sehnsucht nach dem Tod.
    Aus Lautsprechern erklang ein Gedicht. Schreie, Wimmern, Stöhnen – die sich mit New-Metal-Sound und Disco-Rhythmen vermischten. Das Ganze erzeugte eine Art dumpfen, eindringlichen Rhythmus, der an das Hämmern auf römischen Galeeren erinnerte. Der Vergleich war umso passender, als die Bademeister Peitschen in ihren Händen hielten und sie gelegentlich benutzten, um ihre »Galeerensklaven« aufzumuntern.
    »Verdammt«, stieß Kasdan mit erstickter Stimme hervor, »was machen wir hier eigentlich?«
    Er wandte sich Volokine zu. Der Junge schien noch stärker mitgenommen zu sein als er selbst. Ihr Führer ging weiter. Er trug ein breites Grinsen zur Schau, sichtlich zufrieden, diesen beiden Bullen, die die Klappe so weit aufgerissen hatten, das Maul zu stopfen.
    »Wir sind da«, sagte er mit seiner Vogelstimme.

KAPITEL 53
    »Immer hereinspaziert, meine Freunde. Ich sehe, dass auch die Großen heute Abend Weihnachten feiern.«
    Erleichtert betrat Volokine das Büro von Milosz. Während des Rundgangs hatte er plötzlich ein starkes Unbehagen empfunden. Ein Unwohlsein, das nichts mit der Nähe zum Dope zu tun hatte, sondern mit einer verborgenen Schicht seiner Persönlichkeit. Der Anblick von Folterungen und widernatürlichen sexuellen Handlungen rührten an Dinge, die tief unter Sedimenten bewusstseinsnäherer Erinnerungen begraben lagen – Tiefen, in die er nicht vordringen konnte. Immer dieses schwarze Loch … Er spürte nur die Symptome. Äußere Zeichen, die ihn immer wieder vom Ursprung entfernten. Die Perversion ist die Droge des Menschen, der keine Drogen nimmt …
    Der Russe fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und riss sich zusammen. Er war noch nie in diesem Raum gewesen. Nackte Wände, bespannt mit weißem Vinyl. Ein roter Linoleumfußboden, darüber eine durchsichtige Plane, als wollte man sie beide umlegen und dann in diese Plastikfolie einwickeln.
    Im hinteren Teil des Zimmers saß Milosz auf einem dunklen Holzthron, der auf einem Podest von einem Meter Höhe stand. Der korpulente Gastgeber trug einen schwarzen Umhang. Aus diesem schweren Überwurf ragte nur ein völlig kahl geschorener Kopf ohne Augenbrauen heraus; sein Gesicht trug die Züge einer sanftmütigen Bulldogge. Die mit esoterischen Figuren verzierte Rückenlehne des Throns, die seinen bleichen Schädel überragte, rundete das Bild des SM -Meisters ab.
    Milosz hob den Arm. Seine aufgeschwemmte Hand schien leicht zu sein:
    »Beachten Sie die Einrichtung nicht weiter. Meine Kundschaft mag es, dass man Dinge hinzufügt …«
    Volokine näherte sich grinsend. Er fand seine Kaltblütigkeit wieder:
    »Hallo, Milosz. Eine Superfete, zu der du uns da einlädst …«
    »Die Themenpartys laufen immer.«
    Volokine blickte auf Kasdan, der benommen wirkte, und wandte sich dann wieder dem Herrn des Hauses zu:
    »Ich habe mich mit meinem Kollegen gefragt … Was ist das Thema des heutigen Abends?«
    »›Die Feinde von Weihnachten‹. Was man kleinen Kindern nicht sagt.«
    Milosz brach in schallendes Gelächter aus. Seine Stimme, seine Worte, sein Lachen – all dies schien aus einer großen Höhle zu kommen. Sein spanischer

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