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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Akzent verstärkte noch die Modulationen seiner Bassstimme.
    »Darf ich vorstellen: Lionel Kasdan, Kommissar bei der Mordkommission. Wir ermitteln gerade in einem …«
    »Freunde, ich spüre, dass ihr die Kirsche auf meinem Kuchen seid …«
    »Welche Kirsche? Was für ein Kuchen?«
    Das Monster hob seine beiden Arme, die in weiten Ärmeln steckten – er glich einem diabolischen Gandalf:
    »Wenn ich recht verstanden habe, seid ihr gekommen, um mit mir über meine süße Kindheit zu sprechen.«
    »Was weißt du über Hans-Werner Hartmann?«
    Milosz faltete die Hände wie zum Gebet und schüttelte sie dann, als wollte er Würfel werfen:
    »Eine ganze Epoche!«
    »Freut mich, dass du es so aufnimmst. Du ersparst es uns, die drohenden Polizisten zu spielen.«
    »Niemand bedroht Milosz. Wenn Milosz reden will, redet er, Punkt.«
    »Sehr schön, mein Lieber. Also, wir hören.«
    »Bist du sicher, dass du nichts vergessen hast?«
    Volo dachte an Geld. Aber der SM -Meister war kein Spitzel, der von der Hand in den Mund lebte.
    »Wenn du willst, dass ich rede, musst du zuerst reden«, fuhr der Guru fort. »Du musst Milosz alles sagen. Warum ermittelt ihr? Der Leichnam von Hans-Werner Hartmann muss seit Ewigkeiten in der Erde modern.«
    »Sagt dir der Name Wilhelm Götz etwas?«, fragte der Russe.
    »Klar. Hartmanns Hündchen. Der Leiter des Chors der himmlischen Stimmen.«
    »Hast du ihn persönlich gekannt?«
    »Mein Kleiner, ich hab unter seinem Taktstock gesungen, auch unter seinem fleischlichen.«
    »Wusstest du, dass er in Paris lebte?«
    »Ja, ich hab das von Anfang an gewusst.«
    »Woher?«
    »Er war Stammgast in meinem Klub.« Milosz grinste. »Die ausgleichende Gerechtigkeit. In Paris hat er unter meinem Knüppel gesungen! Ein totaler Masochist.«
    »Götz wurde vor vier Tagen ermordet.«
    Keine Reaktion, dann, in spöttischem Ton:
    »Der Teufel hab ihn selig.«
    Volokine lockerte seine Krawatte. Die Hitze war unerträglich. Die massige Statur von Milosz, schwarz und schwer, machte die Atmosphäre in dem Raum noch beklemmender.
    »Wer könnte deiner Meinung nach dahinterstecken?«
    »Der Mann hatte ein langes und bewegtes Leben. In dieser Vergangenheit findet sich das Motiv.«
    »Das glauben wir auch.«
    »Daher wollt ihr mich also über Hartmann ausquetschen.«
    »Wir haben gehört, dass du in der Colonia Asunción gelebt hast. Stimmt das?«
    »Wer hat euch das gesagt?«
    »General La Bruyère.«
    »Noch so ein guter Kunde. Ich dachte, er wäre tot.«
    »So gut wie.«
    Volokine suchte nach den passenden Worten für seine erste Frage, doch Milosz öffnete bereite sein fleischiges Fischmaul:
    »Am besten ich erzähle euch die Geschichte. Die ganze Geschichte.«
    Der Russe warf einen Blick in die Runde. Keine Sitzgelegenheit. Die Gäste des SM -Meisters kamen wohl auf allen vieren, mit umgeschnalltem Hundehalsband, angekrochen. Volokine vergrub die Hände in den Taschen. Kasdan stand noch immer reglos und wie betäubt da.
    »Ich bin 1968, mit zehn Jahren, in die Colonia gekommen. Ich stammte aus einem kleinen Dorf nahe Temuco am Fuß der Kordilleren. Hartmann bot allen, die auf den Feldern helfen, in den Bergwerken oder in seinem Chor mitsingen wollten, Unterkunft, Verpflegung und eine kostenlose schulische Ausbildung an. Er brachte uns germanische Bräuche, Musik und Deutsch bei …«
    »Wie war das Leben in der Kolonie?«
    »Speziell, mein Freund, sehr speziell. Zum einen war die Zeit in den dreißiger Jahren stehen geblieben. Ich meine für die Mitglieder des harten Kerns. Nicht für Ausländer wie uns. Die Frauen trugen traditionelle Zöpfe und Kleider, die Männer Lederhosen. Hinterwäldlerisch.«
    »Welche Sprache wurde gesprochen?«
    »Mit uns sprachen sie Spanisch, untereinander Deutsch. Wie Sie befehlen, mein Herr! Aber Achtung: Die Kolonie war keine Nazi-Sekte. In keiner Weise. Es gab eine … wie soll ich sagen? … sehr familiäre Atmosphäre. Überall wehten Flaggen und Fähnchen mit einem seltsamen Emblem: eine langgezogene, verzerrte Silhouette, die an den Nazi-Adler erinnerte. Es war wie der Schatten eines Ideals, das auf uns lastete. Christlich und Unheil bringend zugleich.«
    »Ich nehme an, dass es strenge Regeln gab.«
    »Das war keine Schule des Lachens, so viel ist sicher. Wir lebten völlig autonom. Außer Salz und Kaffee produzierten wir alles selbst. Männern und Frauen waren Kontakte verboten. Hartmann allein bestimmte, wer heiraten durfte. Verheiratete Paare durften sich tagsüber und

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