Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
wisst, dass dieses Leiden nicht sinnlos ist. Wir haben eine kosmische Sendung auf uns genommen. Wir sühnen durch die Qualen, die wir leiden, die Sünden der Menschen. In den Augen Hartmanns war unsere Gemeinschaft absolut notwendig. Wir waren eine Familie, ein Kraftzentrum des Glaubens und des Leidens, das ein Gegengewicht zur Welt der Sünder bildete …«
    Volokone ergriff wieder das Wort. Er wollte das Gespräch in eine konkretere Richtung lenken:
    »All dies sagt uns nicht, weshalb die Kolonie 1973 zu einem Folterzentrum für politische Gefangene wurde.«
    »Hartmann hielt nichts von den Generälen in Santiago. Und er interessierte sich auch nicht für die politischen Erschütterungen im Land. Nein. Das Einzige, was zählte, war der Blick Gottes, der auf uns ruhte. Das Einzige, was zählte, war unser Kampf gegen den Satan!«
    »Ich sehe den Zusammenhang nicht.«
    »Eines der Gesichter des Teufels war der Kommunismus. Man musste die verirrten Gefangenen retten. Sie zum Reden bringen, gewiss, sie aber auch reinigen. Indem wir sie folterten, retteten wir ihre Seelen. Wir lehrten sie sozusagen die Zwiesprache mit Unserem Herrn. Leider überlebten nur sehr wenige. Auch im Krankenhaus ereigneten sich seltsame Dinge, aber wir hatten keinen Zugang. Die Ärzte haben dort die guten alten medizinischen Experimente der Konzentrationslager fortgeführt.«
    Milosz nahm eine neue Sitzhaltung auf seinem Thron ein, wobei ein sonderbares Klirren zu vernehmen war. Volokine fragte sich, ob der Dickwanst wohl auf Glasscherben saß.
    »Wie lange bist du in der Kolonie geblieben?«
    »Bis 1979, als ihr Goldenes Zeitalter zu Ende ging.«
    »Hast du in der Kolonie gefoltert? Ich meine: politische Gefangene?«
    »Das gehörte zur Agoge. Ich war siebzehn. Ich hatte die eine Seite kennengelernt, und es wurde Zeit, dass ich die andere kennenlernte. Ja, ich habe anderen dieselben Qualen zugefügt, die ich erlitten habe. Ohne Skrupel. Ein Kind hat keine moralischen Maßstäbe. Es ist das Produkt seiner Erziehung. Die Mörder Pol Pots in Kambodscha waren Kinder. In Liberia spielten die Kinder Fußball mit den Köpfen, die sie abgetrennt hatten.«
    Milosz faltete seine Hände wie zu einem komischen Gebet:
    »Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!«
    »Unter welchen Umständen bist du weggegangen?«
    »Ich bin abgehauen. Und sie haben mich nicht verfolgt. Sie hatten Wichtigeres zu tun. Die Kolonie war zu einer regelrechten Folterfabrik geworden. Und sie glaubten bestimmt, dass ich auf der Flucht verrecken würde. Oder dass mich Soldaten aufgreifen würden.«
    »Wie hast du überlebt?«
    »Ich bin geradewegs nach Süden gewandert, bis Chiloé. Dort bin ich an Bord eines Hochseefischers gegangen, der unter australischer Flagge fuhr. Von Adelaide aus bin ich dann weiter nach Europa gefahren.«
    »Was hast du dann gemacht?«
    »Ich bin auf den Strich gegangen. Ich habe festgestellt, dass man als Sadist Geld verdienen kann. Zuerst in London, dann in Paris. Mein kleines Geschäft lief gut.«
    Volo versuchte wieder zum Kern der Sache zu kommen:
    »Wir vermuten, dass die Stimme der Kinder einer der Schlüssel zur Aufklärung des Mordes an Götz ist. Vielleicht sogar das zentrale Motiv. Was meinst du?«
    »Hartmann setzte seine Forschungen über die menschliche Stimme fort, aber er hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen.«
    Kasdan erregte sich plötzlich:
    »Aber Herrgott noch mal, was hat er denn gesucht?«
    »Das hat niemand herausgefunden. Als ich in der Kolonie lebte, gab es Gerüchte … Es hieß, Hartmann habe während seiner Zeit in den Konzentrationslagern eine Entdeckung gemacht. In Bezug auf die Stimme. Keine Ahnung. Er besaß Aufzeichnungen aus dieser Zeit. Auch unsere Foltersitzungen hat er aufgenommen. Er schloss sich tagelang ein, um sich diese Schreie anzuhören.«
    Milosz schwieg kurz und fuhr dann leiser fort:
    »Ich weiß nichts über eure Ermittlungen. Ich weiß nicht, was ihr sucht. Aber wenn die Kolonie darin verwickelt ist, dann geht es auch um dieses Geheimnis. Es hat diese Entdeckung gegeben. Sie hat auf all jene abgefärbt, die ihr zu nahe gekommen sind. Es ist ein Geheimnis, das töten und eine Kettenreaktion auslösen kann. Auch heute noch.«
    »Du sprichst von der Sekte im Präsens?«
    Der Glatzkopf verzog seine dicken Lippen zu einem Lächeln:
    »Ihr scheint auf der Stelle zu treten, meine Spätzchen.«
    »Wenn du etwas weißt, dann solltest du uns jetzt ins Bild setzen.«
    »Die Sekte hat sich nie

Weitere Kostenlose Bücher