Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
Bestandsaufnahme aller in Frankreich aktiven Sekten durchführte. Heute gehört er einer ›Einsatzgruppe zur Bekämpfung sektiererischer Auswüchse‹ an. Er kennt sich bestens aus.«
    »Wieso hast du ihm gesagt: ›Du bist mir was schuldig‹?«
    »Eine lange Geschichte.«
    »Bis er seine Pantoffel gefunden hat, kannst du mich aufklären.«
    Volokine atmete tief durch. Die Daten, die Tatsachen, in einem dichtgedrängten Resümee:
    »Es war im Jahr 2003. Die Typen vom Inlandsgeheimdienst hatten einen Verein im Visier. Eigentlich keine Sekte. Ein Zentrum für geistig behinderte Kinder in Antony. Ihre Behandlungsverfahren waren esoterisch angehaucht. Im Sprachgebrauch des Inlandsgeheimdienstes heißt so etwas eine ›Therapiegruppe‹. Die Leiter verlangten von den Eltern eine Menge Geld, und ihre Methoden waren fragwürdig.«
    »Was ist passiert?«
    »Dalhambro hat die Ermittlungen geleitet. Er hat den Direktor befragt und dann einen Bericht geschrieben. Darin stellte er fest, dass der Kerl eine absolut weiße Weste hätte.«
    »Ist das alles?«
    »Nein. Ein Jahr später haben die Eltern Anzeige erstattet. Man wollte ihnen ihre Kinder nicht herausgeben. Die Akte landet bei uns, im Jugendschutzdezernat. Ich bin dorthin gefahren und habe den Direktor befragt. Auf meine Art. Der Typ hat ausgepackt.«
    »Was war vorgefallen?«
    »Er hat zwei, drei der zurückgebliebenen Kinder zu Ausflügen in seinem Auto mitgenommen und sie dann auf Parkplätzen vergewaltigt und gezwungen, sich gegenseitig zu streicheln. Dabei hat er sie gefilmt. Wenn Dalhambro damals gründlicher ermittelt hätte, hätte man den Missbrauch der Kinder ein Jahr früher unterbinden können.«
    »Niemand ist gegen Irrtümer gefeit.«
    »Aus diesem Grund habe ich seinen Bericht zerrissen. Niemand bei der Kripo hat erfahren, was für ein Schnitzer ihm unterlaufen ist. Seit diesem Tag steht er in meiner Schuld. Wenn ich keinen Schlafplatz habe, kann ich zu ihm kommen. Ich weiß, dass ich bei ihm einen Stein im Brett habe.«
    Kasdan öffnete grinsend seine Wagentür:
    »Wir sind wirklich eine große Familie.«
    Volo warf einen Blick auf das Einfamilienhaus.
    »Ich hoffe, dass es das Richtige ist. Sie sehen sich alle so ähnlich.«
    Michel Dalhambro wohnte in einer gesichtslosen kleinen Ortschaft nahe Cergy, die aus vollkommen identischen Einfamilienhäusern bestand. Entlang der Alleen reihten sich die weiß verputzten Häuschen mit roten Dächern endlos aneinander – wie Spielzeug auf einem Fließband. Des Nachts hoben sich die Kugeln der Straßenlaternen wie kleine Monde vor der Finsternis ab.
    Ob sich wohl die Lebensstile, die Mentalitäten und die Ernährungsgewohnheiten der Bewohner langfristig aneinander anglichen? Oder war es umgekehrt? Hatten sie sich denselben Wohnort ausgesucht, weil sie die gleiche Lebenseinstellung hatten? Kasdan dachte an eine bizarre Sekte, die eine sanfte, unsichtbare, schmerzlose Gehirnwäsche praktizierte. Eine Konditionierung mit Hilfe von Anzeigen und Werbespots, Fernsehshows und Einkaufszentren. In einem gewissen Sinne war das Klonen von Menschen bereits Wirklichkeit. Man konnte hier sterben, ohne dass es weiter auffiel. Das Sein im philosophischen Sinne des Wortes ging weiter und überstieg die individuelle Existenz.
    Volokine klopfte behutsam an die Tür. Er schien wieder zu Kräften gekommen zu sein. Dabei hatte er seit etlichen Stunden weder gegessen noch geraucht. Sein Verhalten war ein Rätsel. Der Junge schien raschen Schwankungen seiner seelischen Wetterlage ausgesetzt zu sein. Ein rapider Wechsel von Hochs und Tiefs, den ein Außenstehender nicht nachvollziehen konnte. Aber die Ermittlungsarbeit schien seinen Körper und seinen Geist zu sättigen. So sehr, dass er nicht mehr unter Entzugserscheinungen litt?
    Michel Dalhambro war ein kräftiger, mittelgroßer, unscheinbarer Mann von etwa vierzig Jahren. Er hatte etwas Fettiges an sich, wie von einem Hotdog oder einem Hamburger. Seine halb dunkle, halb orange Haut erinnerte an die Brotrinden von Junkfood. Ein vom Schlaf verquollenes Gesicht, zerzaustes Haar, das Kinn von Bartstoppeln überzogen. Er trug ein Sweatshirt der Marke CHAMPION und eine zu kurze Jogginghose, die ihm nur knapp übers Knie reichte.
    Er legte den Zeigefinger auf die Lippen:
    »Macht keinen Lärm. Die Jungs schlafen im ersten Stock. Und zieht eure Schuhe aus. Wenn meine Frau aufwacht und euch sieht, flippt sie aus.«
    Die beiden Partner kamen seiner Aufforderung nach und betraten das Haus; sie

Weitere Kostenlose Bücher