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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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konnte einige rätselhafte Dinge erklären. Etwa das Verschwinden der drei Kollegen von Wilhelm Götz – Reinaldo Gutteriez, Thomas Van Eck und Alfonso Arias. Männer, die nicht mehr in Frankreich waren, aber das französische Territorium nicht verlassen hatten. Sie waren von diesem Staat im Staat aufgesaugt worden.
    Da erinnerte sich Kasdan daran, wie ihm der Gerichtsmediziner Ricardo Mendez vor zwei Tagen berichtet hatte, dass die Prothese, die Wilhelm Götz trug, keinem Krankenhaus zugeordnet werden konnte. Denn Götz war dort an der Hüfte operiert worden, wo sich die drei Folterknechte versteckt hielten.
    »Wer leitet diese Gemeinschaft?«
    »Keine Ahnung. Die französische Regierung weiß nicht mehr, was dort vor sich geht. Ich habe sogar den Eindruck, dass sie es gar nicht wissen will. Diese Gruppe wird zu einer Belastung, verstehst du?«
    »Hast du nicht den Namen eines Führers? Eines Ministers? Eines Generalsekretärs?«
    »Doch, warte. … Es gibt eine Art Zentralkomitee.« Kasdan vernahm das Rascheln von Papier. Dalhambro hatte sich also Notizen gemacht. »Da ist es. Der Mann, der das alles kontrolliert, heißt Bruno Hartmann.«
    »Du meinst: Hans-Werner Hartmann?«
    »Ich habe den Namen Bruno Hartmann.«
    Der israelische Wissenschaftler David Bokobza hatte gesagt: »Meines Wissens gibt es sogar einen Sohn, der wohl seine Nachfolge angetreten hat.« Und Milosz hatte es auf den Punkt gebracht: »Der König ist tot, es lebe der König.«
    »Wo genau befindet sich die Kolonie?«
    »Nach meinen Recherchen hat es zwei Standorte gegeben. Am ersten, in der Camargue, gab es Schwierigkeiten. Die Sippschaft hatte sich in einem abgelegenen Gebiet, fünfzig Kilometer von Saintes-Marie-de-la-Mer entfernt, angesiedelt. Aber die Camargue ist eine Tourismusregion. Es gab Beschwerden. Da hat die Verwaltung des Departements ihre Beziehungen spielen lassen, um die Chilenen loszuwerden. Ihnen waren selbst die Zigeuner noch lieber als diese seltsame Sekte. Die Verträge wurden nie unterzeichnet. Und nach einigen Jahren musste die landwirtschaftliche Kooperative ihre Zelte abbrechen.«
    »Wann war das?«
    »1990.«
    »Wohin sind sie umgesiedelt?«
    »In die am dünnsten besiedelte Region Frankreich,s in den Causse Méjean, im Süden des Massif Central. Dort, kann ich dir versichern, stören sie niemanden. Es ist offenbar eine Art Steppe, wie in der Mongolei, die sich über etliche Hundert Quadratkilometer erstreckt. Sie besitzen dort einige Tausend Hektar Land. Ihre einzigen Nachbarn sind Przewalski-Pferde, die in einem Naturpark gehalten werden. Ich glaube, in dem Gebiet sind sie mit offenen Armen empfangen worden. Die Kolonie hat der Zone Wohlstand gebracht. Sie haben Brunnen gegraben, die Landwirtschaft entwickelt. Die Kolonisten wurden zu Pionieren. Heute versorgen sie sich selbst mit Nahrungsmitteln und Energie. Es ist ein riesiger landwirtschaftlicher Betrieb, der eigene Turbinen zur Stromerzeugung besitzt.
    Kasdan war fasziniert. Die Geschichte der Kolonie in Chile wiederholte sich haargenau in Frankreich. War Bruno Hartmann mit einer Schar blonder Kinder nach Frankreich gekommen, so wie es sein Vater in den sechziger Jahren in Chile getan hatte?
    »Du sprichst vom Causse Méjean. Weißt du, wo genau sich dieses Anwesen befindet?«
    »Das nächste Kaff heißt Arro. Das muss ein ziemlich heruntergekommenes Dorf sein, wo eine Handvoll Einwohner vor sich hinvegetieren.«
    »Wie heißt der Ort noch mal?«
    »Arro. A.R.R.O .«
    Kasdan ging wieder durch den Korridor der Klinik in Richtung des OP -Trakts.
    »Eine Sekunde!«
    Er betrat das unaufgeräumte Zimmer. Da war niemand. Volokine war im OP . Er durchwühlte die Umhängetasche des Jungen und fand seinen Notizblock, auf dem er seine Ideen, Namen und Details festhielt, die er für wichtig hielt. Hastig blätterte Kasdan die Seiten durch und fand die Akrostichen nach den Gesangswerken, die Götz in dieser Weihnachtszeit des Jahres 2006 dirigiert hatte. Requiem, Oratorium, Ave Maria, Requiem …
    Ihm stockte der Atem.
    Volokine hatte auf der karierten Seite notiert:
    ORAR
ROAR
ARRO
RARO
    Das kleine Genie hatte also wieder einmal richtiggelegen. Indem man die Anfangsbuchstaben der Weihnachtschoräle aneinanderfügte, konnte man den Namen des Dorfes entschlüsseln, in dessen Nähe die Sekte sich niedergelassen hatte. Das war das Geheimnis, das Götz in seiner Musik versteckt hatte. Das wollte er allen mitteilen. Die chilenischen Folterknechte waren in Frankreich und setzten

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