Choral des Todes
für die Fälle. Wegen der entführten Kinder. Wir haben eine Zeitlang zusammengearbeitet, aber dann hat er die Sache plötzlich sausen lassen. Der Typ hat Drogenprobleme.«
»Wo ist er jetzt?«
»Wieder in seiner Entzugsklinik im Departement Oise.«
»Wir werden das überprüfen. Kommen wir zurück auf Pater Olivier.«
Kasdan erzählte, wie es weitergegangen war. Die Splitter der Holzsorte, aus der die Dornenkrone Christi gefertigt wurde. Dann die unerwartete Wendung des Falls, als sich herausstellte, dass Götz ein ehemaliger Folterer war. Die Aussage Peter Hansens: Er hatte von der chilenischen Kolonie berichtet und Kasdan den Hinweis gegeben, dass die Sekte nach Frankreich übersiedelt sei. Kasdan vermied es, die drei Generäle zu erwähnen. Wenn er Condeau-Marie, La Bruyère und Py erwähnt hätte, hätte er eine Verbindung zwischen sich und dem Mord an Py, alias Forgeras, hergestellt.
Marchelier tippte noch immer auf seinem Rechner herum, hielt plötzlich inne und starrte auf die Tastatur, als suche er einen Buchstaben, den es nicht gab. Kasdan sah, wie die Zeit verrann. Die Wanduhr zeigte 15.00 Uhr.
Er beendete seine Ausführungen. Die jüngsten Erkenntnisse. Die Sekte. Ihre Regeln. Ihr Status. Ihre Kinder. Der Mord an Régis Mazoyer, einem »Ehemaligen« der Kolonie Asunción. Den Zusammenstoß mit den maskierten Knaben ließ er unerwähnt. Er wollte nicht noch einmal auf den Russen zu sprechen kommen.
Abschließend resümierte er den allgemeinen Hintergrund der Morde. Eine Sekte, die geheimnisvolle Forschungen über die menschliche Stimme durchführte und dabei Knabenchören eine besondere Bedeutung beimaß. Jungen, die mit Misshandlungen und in einem religiösen Wahn aufwuchsen und systematisch zu Mördern herangezogen wurden. Eine Sekte, die ihren Schlupfwinkel verlassen hatte, um Männer mundtot zu machen, die über ihr Treiben hätten Auskunft geben können.
Der Beamte der Mordkommission blickte von seiner Tastatur auf:
»Glaubst du nicht, dass du ein wenig übertreibst?«
»Nein. Dieser Kinder werden von den Anführern der Sekte befehligt und gelenkt. Und vor allem von ihrem Guru, Bruno Hartmann, dem Sohn von Hans-Werner. Niemand hat ihn je auf französischem Boden gesehen. Aber er hält sich irgendwo in der Kolonie versteckt und hat die Fäden in der Hand.
Marchelier verschränkte die Arme und hörte auf zu tippen:
»Wie geht es deiner Meinung nach weiter?«
»Vielleicht gibt es noch andere Zeugen, die sie ausschalten wollen. Nur eines ist sicher.«
»Was?«
»Im Innern der Sekte ist etwas geschehen, das diese Panik ausgelöst hat. Alles hat von dort seinen Ausgang genommen – davon bin ich überzeugt.«
»Woran denkst du?«
»Ich weiß nicht. Womöglich bereitet die Sekte einen Anschlag auf die ›Ungläubigen‹ vor. Wie die Mitglieder der japanischen Aun-Sekte im Jahr 1995. Das hat Götz vielleicht dazu veranlasst, zu reden.«
»Was du erzählst, klingt wie ein Märchen.«
Kasdan beugte sich über den Schreibtisch:
»Hast du nicht dieselben Informationen?«
»Ja, aber …«
»Aber was? Man muss sie aufhalten, verdammt! Man muss diesen Wahnsinnigen Einhalt gebieten!«
Der Polizist blickte auf. Zum ersten Mal hatte er seinen spöttischen und feindseligen Gesichtsausdruck abgelegt:
»Bist du dir bewusst, dass es nicht den Hauch eines konkreten Beweises für deine Behauptungen gibt?«
»Es gibt die Schuhabdrücke. Diese Latschen aus dem letzten Weltkrieg. Und die Holzsplitter von einer bestimmte Akazienart mit Spuren von Pollen, die aus Chile stammen.«
»All dies ist nichts wert, wenn man keine direkte Verbindung zwischen der Sekte und den Opfern herstellen kann. Ich bin mir sicher, dass die Täter dabei die gebotene Vorsicht walten ließen. Glaub mir, weder Götz noch Manoury haben E-Mails an Hartmann geschickt.«
Kasdan schlug mit der Hand auf den Schreibtisch:
»Diese Typen entführen und foltern Kinder! Sie sind Serienmörder. Man muss sie stoppen. Kein Pardon!«
»Beruhige dich. Auch wenn wir eine noch so dicke Akte über diese Typen haben, können wir nichts unternehmen, und das weißt du. Tatsächlich können wir uns ihnen nicht einmal nähern. Die Leute in der Kolonie Asunción sind bis an die Zähne bewaffnet. Beim kleinsten Angriff käme es im besten Fall zu einem kollektiven Selbstmord. Und schlimmstenfalls zu einer regelrechten Schlacht wie in Waco, mit Toten auf beiden Seiten.«
»Und was nun?«
Marchelier schlug eine Taste an. Der Druckbefehl.
»Du
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