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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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alle sehr schnell weg, und niemand hat sich mehr um mich gekümmert. Die haben mich einfach da sitzen lassen, ich wusste nicht mal genau, in welcher Stadt ich war. Spätestens jetzt musste ich mir eingestehen, dass unsere Begegnungen leider so oberflächlich waren wie unsere Gespräche. Bowie und ich, das kam nicht über Small Talk hinaus.
    Etwa zeitgleich mit meinem Bruch mit Bowie gab es den ersten zwischen Alex und mir. Ich war mit meinem Kokain-Dealer im Bett gelandet. Er hieß Gerd und war der Mann von Marion, die beiden waren Heavy-Metal-Fans und für die Verhältnisse Anfang der Achtziger eine Provokation auf Beinen. Sie hatte ganz glattes Haar, aber viele Stufen und Ecken reingeschnitten. Es war lila gefärbt, mit einer schwarzen Strähne vorne, die ihr ins Gesicht fiel und ihre dunkel geschminkten Augen verdeckte. Marion trug Samthosen mit schwarz-weißem Tigermuster, dazu rote Cowboystiefel. Ihr Mann sah aus wie Keith Richards: schmales, eingefallenes Gesicht, wilde Frisur, meist ein Hut. Und egal, wo die beiden hingingen, sie hatten ihren Dalmatiner dabei.
    Marion und Gerd haben damals in Hamburg richtig Geld gemacht, indem sie die großen Bands mit Pulver eindeckten. So lernte ich einmal Genesis kennen. Wir sollten eigentlich nur etwas abgeben, sind dann aber die ganze Nacht geblieben. Falls jemand auf falsche Ideen kommen sollte: Phil Collins war nicht dabei!
    Marion landete eines Tages mit einem Rockmusiker im Bett. Als Gerd das mitbekam, schmiss er sich aus lauter Verzweiflung an mich ran. Ich sagte ihm: „Gerd, ich weiß, was in dir vorgeht, aber deswegen musst du nicht gleich bei mir Trost suchen. Ich schlafe doch nicht mit dir, nur weil deine Frau nebenan gerade irgendeinen Film fährt.“ Und dann haben wir, ich weiß gar nicht mehr warum und wie, es eben doch getrieben.
    Marion ist von der Nummer schwanger geworden! Gerd hat ihr aber verziehen. Er hat das Mädchen einfach adoptiert, und zusammen haben sie noch ein Kind bekommen. Das hatte viel mehr Bedeutung als alle Fremdgeherei. Für mich ist das ein sehr schönes Beispiel dafür, dass man Betrug verzeihen kann. Es macht etwas mit der Beziehung, ja. Sie kann dadurch aber sogar vielschichtiger und reifer werden. So etwas kann passieren. Mir ist es wichtiger, dass mein Typ mein Freund bleibt, ich brauche von meinem Partner viel mehr als Sex. Aber vielleicht muss man erst ein gewisses Alter erreichen, um zu dieser Einstellung zu kommen. Wenn man jung ist, denkt man: Das ist der eine, und man will mit dem das ganze Leben zusammen sein. Dabei weiß man gar nicht, was das heißt: ein ganzes Leben. Wie lang ein Leben dauert, wussten wir damals noch viel weniger als heute. Wie lang kann das sein?
    Ich habe damals echt Mist gebaut. Mit Alexander. Ich war die erste Frau, mit der er geschlafen hat, und nun erzähle ich ihm einfach nebenbei am Frühstückstisch die Geschichte mit Gerd. Ich dachte damals, das wäre gut, ich dachte, Ehrlichkeit sei das Beste. Aber es hat ihm wohl das Herz gebrochen.

Szeneprofis
    2013 sitzt ein deutscher Opiatabhängiger an seinem Schreibtisch. Er trägt sein aschblondes Haar kurz geschnitten, ist ein eher durchschnittlicher Typ mit gepflegten Händen und tatkräftig hochgekrempelten Pulloverärmeln – vertrauenerweckend, unauffällig. Läge da nicht auf dem weißen Tisch vor ihm ein Magazin mit dem Titel „Drogenkurier“.
    „Mein Name ist Dirk Schäffer, ich bin 45   Jahre alt und arbeite in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin“, stellt der Mann sich vor. Genauer gesagt ist er Referent für Drogen und Strafvollzug, er hat seine Passion gewissermaßen zur Profession gemacht. Eine Not zur Tugend. Seine Krankheit zur Chance.
    Schäffer sitzt zwischen einer prachtvoll blühenden Büropflanze und einem satt gefüllten Bücherregal. Er spricht langsam in die Kamera: „Seit 15   Jahren bin ich in der Drogenselbsthilfe JES. Die Arbeit bedeutet mir unglaublich viel. JES hat für meine persönliche Entwicklung eine große Rolle gespielt, maßgeblich dazu beigetragen, dass ich als Opiatkonsument an dem Punkt sein kann, an dem ich heute bin: sozial integriert, berufstätig, weitgehend gesund. Nach vielen Jahren der Opiatabhängigkeit führe ich heute ein sehr zufriedenes und ausgefülltes Leben“, sagt Schäffer, ohne zu stottern, ohne zu zittern.
    Seine Erfahrungen teilt er über ein Video auf der Homepage des Netzwerks der Öffentlichkeit mit.
    Mit den Junkies, wie man sie aus dem Buch oder dem Film

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