Christmasland (German Edition)
Lou, der Comics, seinen Sohn, üppige Dekolletés, Bier und Geburtstagspartys liebte, alt wurde.
Sie warf einen Blick auf das Blatt Papier. Darauf stand:
»Motorrad immer noch kaputt. Braucht Teile, auf die man wochenlang warten müsste. Weck mich, wenn du darüber reden möchtest.«
Diese vier Wörter – »Motorrad immer noch kaputt« – waren beinahe so schlimm, als hätte dort »Wayne tot aufgefunden« gestanden. Sie hatte das Gefühl, dass beides nahezu auf dasselbe hinauslief.
Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, Lou niemals begegnet zu sein. Sie wünschte sich, zum Boden des Wäscheschachts hinabgerutscht und dort erstickt zu sein. Damit wäre ihr immerhin der Rest ihres traurigen Lebens erspart geblieben. Dann hätte sie Wayne nicht an Manx verloren, weil es gar keinen Wayne gegeben hätte. Am Rauch zu ersticken wäre einfacher gewesen als das, was sie jetzt durchmachte – ein beständiges Ziehen in der Brust. Sie fühlte sich wie ein Laken, das langsam in Fetzen gerissen wurde.
Sie setzte sich auf die Bettkante, starrte in die Dunkelheit und sah ihre eigenen Zeichnungen vor sich, die Seiten des neuen Search-Engine -Buches, die Tabitha Hutter ihr gezeigt hatte. Diese Zeichnungen mussten ihr tatsächlich höchst verdächtig erscheinen – all die ertrunkenen Kinder, die Schneewehen, die Zuckerstangen, die Hoffnungslosigkeit. Bald würde die Polizei sie festsetzen, und dann würde sie nichts mehr für Wayne tun können. Sie würden V ic einsperren, und sie könnte es ihnen nicht einmal verübeln. Eigentlich war es sogar ein Zeichen von Schwäche, dass Tabitha Hutter noch zauderte.
Die Matratze wurde von ihrem Gewicht eingedrückt. Lou hatte sein Portemonnaie und sein Handy auf die Überdecke gelegt, und jetzt kam beides zu V ic gerutscht und blieb an ihrer Hüfte liegen. Sie wünschte, sie könnte irgendjemand anrufen, der sie beruhigen und ihr einen guten Rat geben könnte. Und dann fiel ihr ein, dass es da tatsächlich jemand gab.
Sie nahm Lous Handy, schlich damit ins Badezimmer und schloss die Tür. Auf der anderen Seite des Raums befand sich eine weitere Tür, die zu Waynes Zimmer führte. V ic ging hinüber, um die Tür zu schließen, und hielt dann inne.
Wayne war dort, in seinem Zimmer, unter dem Bett, und sah mit blassem, ängstlichem Gesicht zu ihr hinüber. Sie hatte das Gefühl, als hätte ein Maultier ihr gegen die Brust getreten. Ihr Herz galoppierte, doch als sie wieder hinsah, war es nur ein Stofftier, ein Affe, der unter dem Bett auf der Seite lag. Seine braunen Augen wirkten glasig und verzweifelt. Sie schloss die Tür zu Waynes Zimmer und stand dann einen Moment lang da, die Stirn gegen die Tür gelehnt, bis ihr Atem sich wieder beruhigt hatte.
Wenn sie die Augen schloss, sah sie Maggies Telefonnummer vor sich: die V orwahl 319 für Iowa, gefolgt von V ics Geburtsdatum und den Buchstaben FUFU . Wahrscheinlich hatte Maggie eine Menge Geld für diese Nummer ausgegeben – nur damit V ic sie sich würde merken können. V ielleicht hatte sie ja schon vorausgesehen, dass V ic sie bei ihrer ersten Wiederbegegnung abweisen würde. Eine Menge Fragen, aber es gab nur eine, die V ic wirklich interessierte: War ihr Sohn noch am Leben?
Das Telefon klingelte und klingelte, und V ic wusste, dass sie nicht in der Lage wäre, eine Nachricht zu hinterlassen, wenn ein Anrufbeantworter ansprang. Sie würde einfach kein Wort herausbringen. Beim vierten Klingeln, als sie es schon aufgegeben hatte, nahm Maggie schließlich doch noch ab.
»V-V-V-Vic!«, rief Maggie, bevor V ic irgendetwas sagen konnte. Auf dem Display von Maggies Telefon stand vermutlich nur Carmody’s Car Carma. Eigentlich hätte sie also nicht wissen können, dass V ic am Apparat war, aber sie wusste es trotzdem, und das überraschte V ic nicht. »Ich wollte dich gleich anrufen, als ich davon gehört habe, aber ich war mir nicht s-s-s-sicher, ob es so eine gute Idee ist. Wie geht es dir? In den Nachrichten hieß es, du s-s-s-seist verletzt worden?«
»Nicht so schlimm. Ich muss wissen, ob mit Wayne alles in Ordnung ist. Ich weiß, dass du das herausfinden kannst.«
»Das habe ich bereits. Ihm geht es gut.«
V ics Beine zitterten, und sie musste eine Hand auf den Waschbeckenrand legen, um sich abzustützen.
» V ic? V - V - V ic?«
V ic konnte nicht sofort antworten. Es kostete sie große Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Ich bin noch da. Wie viel Zeit bleibt mir noch?
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