Christmasland (German Edition)
auf das kleine Display gerichtet, obwohl es ihm ein beunruhigendes Bild zeigen musste: ein zweihundert Kilo schweres Blechungetüm, gesteuert von einer V errückten, das von einer Anhöhe aus direkt auf ihn zuhielt. Er würde nicht mehr rechtzeitig beiseite springen können.
V ic trat mit dem Fuß auf die Bremse. Diese gab ein Seufzen von sich, aber nichts geschah.
Motorrad immer noch kaputt.
Etwas klatschte gegen die Innenseite ihres linken Schenkels, und sie blickte nach unten und sah dort einen schwarzen Gummischlauch baumeln – die hintere Bremsleitung.
Sie würde an dem Idioten mit der Kamera nur vorbeikommen, wenn sie auf den Rasen auswich. Sie gab Gas und legte den zweiten Gang ein.
Eine unsichtbare Hand aus heißer Luft drückte gegen ihre Brust. Es war, als würde sie durch einen heißen Ofen rasen.
Sie fuhr mit dem V orderrad auf den Rasen. Der Rest des Motorrades folgte. Der Kameramann schien die Triumph endlich gehört zu haben, das Dröhnen des Motors, das die Erde erzittern ließ. Sein Kopf ruckte genau in dem Moment hoch, als V ic an ihm vorbeifuhr, nahe genug, dass sie ihm ins Gesicht hätte schlagen können. Er sprang so eilig zurück, dass er das Gleichgewicht verlor und ins Taumeln geriet.
V ic raste weiter. Der Sog des Motorrades riss den Mann herum wie einen Kreisel, und er stürzte auf die Straße, wobei ihm die Kamera aus der Hand fiel, die scheppernd auf dem Asphalt aufkam. Das würde teuer werden!
Als V ic vom Rasen auf die Straße fuhr, riss der Hinterreifen des Motorrades die oberste Grasschicht weg. Die Triumph geriet ins Schlingern, und V ic fürchtete schon, dass ihr das Hinterrad wegschmierte.
Aber ihre rechte Hand wusste, was zu tun war. Sie gab noch mehr Gas, und der Motor röhrte. Das Motorrad richtete sich auf wie ein Korken, der unter Wasser gehalten und dann losgelassen worden war. Die Reifen fanden auf der Straße Halt, und die Triumph ließ die Kameras, Mikrofone, Tabitha Hutter, Lou, das Ferienhäuschen und V ics eigene geistige Gesundheit hinter sich.
Das Haus des Schlafes
W ayne konnte nicht schlafen und besaß nichts, womit er sich hätte ablenken können. Ihm war übel, und er hätte sich am liebsten übergeben, aber sein Magen war leer. Er wollte aus dem Auto raus, wusste aber nicht, wie er das anstellen sollte.
Er versuchte, eine der Holzschubladen herauszuziehen und damit eines der Fenster einzuschlagen. Aber natürlich ließen sich die Schubladen nicht öffnen, als er daran zog. Er ballte die rechte Hand zur Faust und schlug mit aller Kraft gegen eine der Fensterscheiben. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seine Hand und das Handgelenk.
Der Schmerz hielt ihn nicht davon ab, es ein weiteres Mal zu versuchen. Im Gegenteil, er machte ihn eher noch verzweifelter und waghalsiger. Er legte den Kopf in den Nacken und drosch ihn dann mit aller Macht gegen die Scheibe. Er hatte das Gefühl, jemand würde ihm mit Charlie Manx’ Silberhammer einen sieben Zentimeter langen Eisennagel in den Schädel schlagen. Es wurde dunkel um ihn, so als wäre er eine Treppe hinuntergefallen. Sein Bewusstsein verabschiedete sich.
Kurz darauf kam er wieder zu sich. Jedenfalls glaubte er, dass es kurz darauf war. V ielleicht war auch eine Stunde vergangen oder drei. Zumindest kehrte mit seinem Bewusstsein ein Gefühl von Gelassenheit zurück. In seinem Kopf herrschte eine hallende Leere, als hätte jemand einen lauten Akkord auf einem Piano angeschlagen, der gerade erst verklungen war.
Eine nicht unangenehme Mattigkeit befiel ihn. Er verspürte keinerlei Wunsch mehr, zu schreien, etwas zu unternehmen, zu weinen oder sich Gedanken über das zu machen, was ihn erwartete. Mit der Zunge tastete er vorsichtig über einen seiner unteren Schneidezähne, der wackelte und nach Blut schmeckte. Hatte er so heftig mit dem Kopf gegen die Scheibe geschlagen, dass sich dabei ein Zahn gelockert hatte? Sein Gaumen fühlte sich seltsam rau an, wie Sandpapier.
Schließlich hob er den Mond mit der Weihnachtsmannmütze vom Boden auf. Er war glatt wie ein Haifischzahn, und seine Form erinnerte Wayne ein wenig an das Werkzeug, mit dem seine Mutter das Motorrad repariert hatte – den Hakenschlüssel. Der Mond war auch ein Schlüssel, und er öffnete die Tore des Christmaslands. Unwillkürlich spürte Wayne bei dem Gedanken Freude in sich aufsteigen. Freude war ein Gefühl, das man nicht steuern konnte. Ein hübsches Mädchen mit Sonnenlicht im Haar, Pfannkuchen, heiße Schokolade am prasselnden Kaminfeuer
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