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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Labyrinth aus Magazinen und schmalen Korridoren, deren Wände von hohen Regalen gesäumt waren.
    »Wenn du jemals schnell von hier weg musst«, sagte Maggie. »Zum Beispiel weil die Bullen hinter dir her sind – dann denk dran: immer schön rechts halten und die Treppen runter. Das ist der kürzeste Weg nach draußen.«
    »Du denkst, es wird nötig sein, von hier zu fliehen?«
    »Na, heute jedenfalls nicht«, sagte Maggie. »Wie heißt du? Du hast doch bestimmt noch einen anderen Namen außer das Gör, oder?«
    » V ictoria. V ic. Der Einzige, der mich Gör nennt, ist mein V ater. Er macht das nur zum Spaß. Wie kommt es, dass du meinen Spitznamen kennst, aber nicht meinen richtigen Namen? Und was hast du damit gemeint, dass du mit mir gerechnet hast? Wie kann das sein? Ich habe doch gerade erst vor zehn Minuten die Entscheidung getroffen hierherzukommen.«
    »Okay. Kann ich dir sagen. Aber lass uns erst mal dein Knie verarzten, und danach machen wir unsere kleine Fragerunde.«
    »Ich glaube, Antworten sind mir wichtiger als mein Knie«, sagte V ic. Sie zögerte und fuhr dann ungewohnt verlegen fort: »Ich habe mit meiner Brücke jemand erschreckt. Einen netten alten Mann in meinem Heimatort. Möglicherweise habe ich sein Leben zerstört.«
    Maggie sah zu ihr herüber, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit des Magazins. Sie musterte V ic sorgfältig von Kopf bis Fuß und sagte dann: »Grad klingst du aber nicht nach einem Gör. Ich frage mich, ob dein Spitzname wirklich zu dir passt.« Sie verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln. »Wenn du jemand erschreckt hast, hast du das bestimmt nicht mit Absicht getan. Und wahrscheinlich hast du auch keinen bleibenden Schaden angerichtet. Das menschliche Gehirn ist ziemlich flexibel. Es hält ein paar Erschütterungen aus. Jetzt komm. Pflaster, Tee und Antworten. Hier entlang.«
    Sie verließen das Magazin und erreichten eine freie Fläche mit Steinfußboden, eine Art schäbiges Büro. Es erinnerte V ic eher an das Büro eines Privatdetektivs in einem Schwarz-Weiß-Film als an das einer Bibliothekarin mit Punk-Frisur. Es enthielt die fünf wichtigsten Requisiten, die das Büro eines Schnüfflers braucht: einen grauen Metallschreibtisch, einen abgelaufenen Pin-up-Girl-Kalender, einen Garderobenständer, ein rostfleckiges Spülbecken … und eine stumpfnasige .38er, die mitten auf dem Schreibtisch auf einem Papierstapel lag. Außerdem gab es in einer anderthalb Meter breiten Nische in der Wand ein großes Aquarium.
    Maggie nahm den grauen Filzhut ab und warf ihn auf den Garderobenständer. Im sanften Licht der Aquariumlampe schien ihr purpurrotes Haar zu leuchten wie tausend Neonglühfäden. Während Maggie einen elektrischen Teekocher mit Wasser füllte, ging V ic zum Schreibtisch, um sich den Revolver genauer anzuschauen – es handelte sich um einen Briefbeschwerer aus Bronze, der Inschrift auf dem glatten Griff nach Eigentum von Anton Tschechow.
    Maggie kehrte mit einer Packung Pflaster zurück und bedeutete V ic, sich auf den Schreibtischrand zu setzen. V ic kam der Aufforderung nach und legte ihre Füße auf einem abgenutzten Holzstuhl ab. Als sie die Beine beugte, spürte sie erneut einen stechenden Schmerz im Knie. Und ein heftiges Pochen in ihrem linken Auge. Sie hatte das Gefühl, ihr Auge würde mit einer stählernen Chirurgenzange zusammengepresst. Sie rieb mit dem Handballen darüber.
    Maggie drückte einen kalten, feuchten Waschlappen auf V ics Knie und reinigte die Wunde vom Schmutz. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet, und der Rauch roch süß und angenehm. Mit der Effizienz eines Mechanikers, der den Ölstand überprüft, machte sie sich an V ics Bein zu schaffen.
    V ic betrachtete das Aquarium in der Wand. Es hatte die Größe eines kleinen Sarges. Ein einzelner goldener Koi mit langen Bartfäden, die ihn sehr weise aussehen ließen, schwamm apathisch darin herum. V ic musste zweimal hinschauen, bevor sie begriff, dass sich am Boden des Aquariums kein Sand, sondern ein Durcheinander aus Hunderten weißen Scrabble-Steinen befand, die jedoch nur fünf Buchstaben zeigten: F , I , S , C , H .
    Durch die grünliche V erzerrung des Wassers hindurch konnte V ic sehen, was sich auf der anderen Seite befand: eine mit Teppich ausgelegte Kinderbibliothek. Etwa ein Dutzend Kinder hatten sich mit ihren Müttern in einem lockeren Halbkreis um eine Frau im adretten Tweedrock versammelt, die auf einem viel zu kleinen Stuhl saß und ein Buch hochhielt, damit sich die

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