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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Lagerfeuer darin anzuzünden.
    Gekonnt bediente das Mädchen Kupplung, Gas und Bremse, wie ihr V ater es ihr beigebracht hatte. Der Fahrersitz war so weit wie möglich nach vorn geschoben. Trotzdem musste sie auf einem Kissen sitzen, um über das hohe Armaturenbrett nach draußen schauen zu können.
    »Irgendwann werde ich mir die Karre mal vornehmen«, sagte Michelles V ater. »Die Ärmel hochkrempeln und sie auf V ordermann bringen. Wäre doch toll, wenn du damit zum Abschlussball fahren könntest. Also, wenn du alt genug bist, meine ich.«
    »Ja, super Idee«, sagte Michelle und blickte über die Schulter. »Im Fond ist genug Platz zum Rumknutschen.«
    »Na, vielleicht fahre ich dich damit doch lieber ins Kloster. Schau nach vorn auf die Straße, ja?« Er deutete mit der Bierdose aus dem Fenster, wo sich in alle Richtungen nur Gras, kleine Büsche und Goldrutenwedel erstreckten. Eine Straße war nirgendwo zu sehen. Lediglich eine ferne Scheune im Rückspiegel und Kondensstreifen am Himmel deuteten auf menschliche Besiedlung hin.
    Michelle trat auf die Pedale, die ächzten und stöhnten.
    Das Einzige, was ihr an dem Wagen nicht gefiel, war die Kühlerfigur – eine gruselige silberne Frau mit blinden Augen und wehendem Kleid. Michelle lehnte sich aus dem Fenster und ließ sich das Unkraut gegen das Gesicht peitschen. Die silberne Frau hätte magisch und schön sein können, wäre da nicht das Lächeln auf ihren Zügen gewesen. Sie besaß das irre Grinsen einer V errückten, die gerade ihren Geliebten von einer Klippe gestoßen hatte und ihm nun in die Ewigkeit folgen wollte.
    »Diese Frau ist furchtbar«, sagte Michelle und deutete mit dem Kinn in Richtung der Motorhaube. »Sie sieht aus wie eine V ampirin.«
    »Die blutige Dame«, sagte ihr V ater, der sich offenbar an etwas erinnerte, was er einmal irgendwo gelesen hatte.
    »Was? Sie heißt doch nicht wirklich blutige Dame, oder?«
    »Nein«, sagte Nathan. »Ihr Name ist Spirit of Ecstasy. Eine klassische V erzierung für einen klassischen Wagen.«
    »Ecstasy?«, sagte Michelle. »So wie die Droge? Wow. Abgefahren. Haben die Leute damals so was genommen?«
    »Nein«, sagte er. »Es geht nicht um die Droge, sondern darum, endlos Spaß zu haben. Dafür steht die Figur. Ich finde sie ganz hübsch.« In Wahrheit war er allerdings der Meinung, dass sie wie eines der Opfer des Jokers aussah – eine reiche Frau, die mit einem Lächeln auf den Lippen gestorben war.
    »Zum Christmasland, da fahr ich hin, den lieben langen Tag«, sang Michelle leise. Im Augenblick tönte nur weißes Rauschen und Fiepen aus dem Radio, sodass sie ungestört singen konnte. »Zum Christmasland, da fahr ich hin, weil ich gern Schlitten fahren mag!«
    »Was ist das für ein Lied?«, sagte ihr V ater. »Das kenn ich gar nicht.«
    »Dort fahren wir hin«, sagte Michelle. »Zum Christmasland. Habe ich gerade beschlossen.«
    Der Himmel erstrahlte in verschiedenen Gelbtönen. Michelle fühlte sich wunderbar ruhig und gelassen. Sie hatte das Gefühl, ewig so weiterfahren zu können.
    Ihre Stimme klang freudig erregt, und als ihr V ater zu ihr hinübersah, bemerkte er, dass ihre Stirn schweißfeucht war und in ihren Augen ein verträumter Ausdruck lag.
    »Es liegt dort vorn, Papa«, sagte sie. »Dort vorn in den Bergen. Wenn wir so weiterfahren, könnten wir noch heute Abend da sein.«
    Nathan Demeter kniff leicht die Augen zusammen und spähte durch das staubige Fenster. Im Westen erhob sich eine gewaltige, blasse Bergkette mit schneebedeckten Gipfeln, die höher waren als die Rockies – eine Bergkette, die am Morgen noch nicht da gewesen war und auch noch nicht vor zwanzig Minuten, als sie mit dem Wagen losgefahren waren.
    Er wandte rasch den Blick ab, blinzelte und sah dann noch einmal hin. Die Bergkette verwandelte sich in eine riesige Gewitterfront. Sein Herzschlag beruhigte sich nur langsam.
    »Du hast noch Hausaufgaben auf, deshalb wird es heute nichts mit dem Christmasland«, sagte er, obwohl Sonnabend war und kein V ater der Welt seine zwölfjährige Tochter an einem solchen Tag zwingen würde, Hausaufgaben zu machen. »Zeit umzukehren, Liebling. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen.«
    Er ließ sich in seinen Sitz sinken und nahm einen Schluck Bier, aber eigentlich hatte er genug getrunken. In der linken Schläfe spürte er schon den Schatten eines Katers. Judy Garland wünschte allen mit tragischer Stimme eine »Merry Little Christmas«. Was hatte der DJ dieses Senders eigentlich

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