Christmasland (German Edition)
angefasst?«
»Das wissen wir nicht«, sagte der Arzt. »Wahrscheinlich nicht. V ermutlich wollte er nur nicht, dass Sie ihm folgen, und hat Ihnen deshalb die Hose ausgezogen. Ihre Waffe hat er möglicherweise mitgenommen, weil sie sich im Holster an Ihrem Gürtel befand.«
Das Hemd hatte der Typ Hicks gelassen. Er hatte zwar seine Windjacke mitgenommen, nicht aber sein Hemd.
Hicks begann zu heulen. Er ließ einen feuchten Furz fahren. Noch nie hatte er sich so elend gefühlt.
»O Gott, o mein Gott «, schluchzte er. »Was ist denn mit den Leuten heutzutage nur los?«
Dr. Sopher schüttelte den Kopf. »Wer weiß, was der Kerl sich gedacht hat. V ielleicht war er zugedröhnt. Oder er ist so ein kranker Irrer, der auf eine Trophäe aus war. Aber darüber soll sich die Polizei Gedanken machen. Mir geht es in erster Linie um Ihre Gesundheit.«
»Trophäe?«, rief Hicks und stellte sich vor, wie seine Hose in einem Bilderrahmen an der Wand hing.
»Ja«, sagte Doc Sopher und blickte über die Schulter. »Warum hätte er sonst die Leiche eines berühmten Serienmörders stehlen sollen?«
Hicks drehte den Kopf – ein Gong ertönte in seinem Gehirn und brachte seinen Schädel zum Klingen – und sah, dass die Bahre, auf der Manx’ Leiche gelegen hatte, in der Mitte des Raums stand und leer war. Mit einem Stöhnen schloss er die Augen.
V om Gang her hörte er das Klappern von Stiefelabsätzen und glaubte den Stechschritt von Onkel Jim zu erkennen, der seinen Schreibtisch verlassen musste und überhaupt nicht glücklich darüber war. Eigentlich gab es für Hicks keinen logischen Grund, sich vor ihm zu fürchten. Schließlich war er hier das Opfer. Er war angegriffen worden, verdammt noch mal. Aber in der Einsamkeit hinter seinen geschlossenen Augenlidern kam er mit Logik nicht besonders weit. Onkel Jim war auf dem Weg zu ihm, und bald schon würde die dritte V erwarnung wie ein silberner Hammer auf ihn herabsausen. Hicks war buchstäblich mit heruntergelassenen Hosen erwischt worden, und er ahnte schon, dass er seine Uniformhose wohl nie wieder tragen würde.
In einem einzigen Moment im dunklen Autopsieraum hatte er alles verloren: den tollen Job, die Schäferstündchen mit Sasha, die netten Kleinigkeiten aus dem Arzneimittelraum und die lustigen Fotos mit den Leichen. Sogar sein Trans Am mit den schwarz-weiß gestreiften Polstern war weg, wenngleich er das erst Stunden später erfahren würde. Der kranke Scheißer, der ihn bewusstlos geschlagen hatte, hatte den Autoschlüssel gestohlen und war mit dem Wagen davongefahren.
Alles war verloren. Alles.
V erschwunden mit dem toten alten Charlie Manx. Auf Nimmerwiedersehen.
RABENMUTTER
16. Dezember 2011 bis 6. Juli 2012
Lamar Rehabilitation Center, Massachusetts
L ou kam mit dem Jungen in der Frühweihnachtszeit, während V ic McQueen ihre achtundzwanzig Tage Entziehungskur absaß. Der Weihnachtsbaum im Gemeinschaftsraum bestand aus Draht und Lametta. Sie aßen Puderzucker-Donuts aus dem Supermarkt.
»Sind das hier drinnen alles V errückte?«, fragte Wayne so ungeniert wie eh und je.
»Das sind Alkis«, sagte V ic. »Die V errückten waren in der anderen Anstalt.«
»Dann ist das also eine V erbesserung?«
»Ein echter Aufstieg«, sagte Lou Carmody. »Unsere Familie ist auf dem aufsteigenden Ast.«
Haverhill
E ine Woche später wurde V ic entlassen, zum ersten Mal in ihrem erwachsenen Leben wirklich trocken. Sie fuhr nach Hause, um ihrer Mutter dabei zuzusehen, wie sie heldenhaft versuchte, ihrem Dasein ein Ende zu setzen.
V ic half ihr sogar dabei. Sie kaufte ihrer Mutter die V irginia Slims, die sie so mochte, und rauchte sie mit ihr. Linda rauchte, obwohl sie nur noch einen Lungenflügel übrig hatte. Neben ihrem Bett stand eine ramponierte grüne Sauerstoffflasche. Feuergefährlich stand an der Seite, über stilisierten roten Flammen. Linda hob die Maske ans Gesicht, nahm einen tiefen Atemzug, senkte sie dann und zog an ihrer Zigarette.
»Ist das okay für dich?« Linda deutete mit dem Daumen auf die Sauerstoffflasche. »Du hast keine Angst, dass ich …«
»Was?«, sagte V ic. »Dass du alles in die Luft jagst und mein Leben ruinierst? Zu spät, Mama. Das habe ich schon selber getan.«
Seit dem Sommer, in dem V ic achtzehn geworden war, hatte sie keinen Schritt mehr in ihr Elternhaus gesetzt. Als Kind war ihr nie aufgefallen, wie dunkel es darin war. Es stand im Schatten hoher Kiefern, und durch die Fenster fiel so gut wie kein Tageslicht herein.
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