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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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Selbst zur Mittagszeit musste man das Licht anschalten, um etwas sehen zu können. Jetzt stank es im Haus nach Zigaretten und Inkontinenz. Ende Januar konnte V ic es kaum noch erwarten, das Haus zu verlassen. Die Dunkelheit und die stickige Luft erinnerten sie an den Wäscheschacht in Charlie Manx’ Sleigh House.
    »Wir sollten im Sommer wegfahren. Wir könnten uns ein Ferienhaus am See mieten, wie früher immer.« Sie musste nicht sagen, dass sie den Lake Winnipesaukee meinte. Es war stets nur »der See« gewesen, als gäbe es keine anderen Gewässer, genauso wie mit »der Stadt« immer Boston gemeint war. »Ich habe Geld.«
    In Wahrheit war es nicht mehr allzu viel. Sie hatte einen Großteil ihres V ermögens dem Alkohol geopfert. Und was sie nicht versoffen hatte, war für Anwaltshonorare und Anstaltskosten draufgegangen. Dennoch befand sie sich immer noch in einer besseren finanziellen Lage als die meisten trockenen Alkoholiker mit Tätowierungen und V orstrafen. Und es würde wieder neues Geld hereinkommen, wenn sie es schaffte, das nächste Search-Engine -Buch fertigzustellen. Manchmal glaubte sie, dass sie nur deshalb auf Entzug gegangen war, um das nächste Buch zeichnen zu können. Und nicht etwa für ihren Sohn.
    Ihre Mutter schenkte ihr ein wissendes, benommenes Lächeln – Linda würde nicht mehr bis Juni durchhalten, das war ihnen beiden klar. In diesem Sommer würde sie drei Häuserblöcke weiter auf dem Friedhof Urlaub machen, wo schon ihre älteren Schwestern und ihre Eltern begraben lagen. Aber sie sagte: »Sicher. Warum nicht? Und wir nehmen den Jungen mit. Ich würde gern ein bisschen Zeit mit ihm verbringen – das heißt, wenn du nicht der Meinung bist, dass ich einen schlechten Einfluss auf ihn habe.«
    Die letzte Bemerkung überhörte V ic. Sie befand sich auf der achten Stufe ihres Entziehungsprogramms und war nach Haverhill gefahren, um sich mit ihrer Mutter auszusöhnen. Jahrelang hatte sie Wayne von ihrer Mutter ferngehalten und ihren Kontakt zu ihm eingeschränkt. Sie hatte sich eingeredet, dass es ihre Pflicht sei, den Jungen vor Linda zu beschützen. Jetzt wünschte sie sich, jemand hätte Wayne vor ihr selbst beschützt. Ihm gegenüber hatte sie auch einiges wiedergutzumachen.
    »Dann könntest du deinem V ater endlich seinen Enkelsohn vorstellen«, sagte Linda. »Er wohnt dort, weißt du. In Dover. Nicht weit vom See. Er sprengt immer noch Dinge in die Luft. Er würde den Jungen bestimmt gern kennenlernen.«
    Diese Bemerkung ignorierte V ic ebenfalls. Hatte sie auch Christopher McQueen gegenüber etwas gutzumachen? Manchmal glaubte sie das schon – aber dann erinnerte sie sich daran, wie er sich die Faust unter kaltem Wasser abgewaschen hatte, und ließ den Gedanken wieder fallen.
    Den ganzen Frühling hindurch regnete es, und V ic war mit ihrer sterbenden Mutter in dem Haus in Haverhill eingesperrt. Mitunter regnete es so stark, dass sie glaubte, im Inneren einer Trommel zu sitzen. Linda hustete rote Schleimbrocken in eine Plastikschüssel und sah sich viel zu laut das Food Network im Fernsehen an. Rauszukommen – zu flüchten – wurde bald eine Frage des Überlebens. Wenn V ic die Augen schloss, sah sie einen See bei Sonnenuntergang. Libellen, so groß wie Schwalben, glitten über seine Oberfläche dahin.
    Den Entschluss, ein Ferienhaus zu mieten, traf sie dennoch erst, als Lou eines Abends von Colorado anrief und vorschlug, Wayne und V ic könnten zusammen den Sommer verbringen.
    »Der Junge braucht seine Mutter«, sagte Lou. »Meinst du nicht, dass es langsam Zeit ist?«
    » V on mir aus gern«, sagte sie und gab sich Mühe, ruhig zu klingen. Sie hatte Schwierigkeiten mit dem Atmen. Gute drei Jahre war es her, seit sie sich von Lou getrennt hatte. Sie hatte es nicht mehr ertragen können, dass er sie so bedingungslos liebte, während sie selbst sich ihm gegenüber so mies verhielt. Deshalb hatte sie Schluss gemacht.
    Aber es war eine Sache, sich von Lou zu trennen, und eine andere, den Jungen bei ihm zu lassen. Lou hatte gesagt, Wayne würde seine Mutter brauchen, aber eigentlich war es wohl eher anders herum. Die Aussicht, mit dem Jungen den Sommer zu verbringen – noch einmal von vorn anzufangen und zu versuchen, die Mutter zu sein, die Wayne verdient hatte –, jagte V ic Angst ein. Zugleich verspürte sie aber auch einen Anflug von Hoffnung. Sie mochte keine intensiven Gefühle – sie erinnerten V ic an ihren Nervenzusammenbruch.
    »Könntest du dir das denn vorstellen?

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