Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
auch«, sagte Clarissa bitter. Sie nickte jedoch freundlich, als Cook höflich seinen Bowler lüftete und ihr zulächelte. »Wieso hast du mich eigentlich ›Miss Holland‹ genannt? Brauche ich einen Tarnnamen, falls sich ein Steckbrief oder ein Telegramm zu diesem C. W. verirrt?«
»Sicher ist sicher«, bestätigte ihr der Fallensteller.
19
Das Haus der Witwe Barnes lag am Ende der Straße auf einem Hügel, ein zweistöckiges Blockhaus, im Gegensatz zu den meisten anderen Blockhäusern, die mit Grassoden bedeckt waren, hatte es ein Dach aus Holzziegeln und erstaunlich saubere Fenster, hinter denen sogar Vorhänge zu erkennen waren. Aus dem Schornstein kräuselte Rauch. Vor dem Haus hing ein Schild mit der Aufschrift »Lumberjack Café – Dinner und Lunch zu günstigen Preisen.«
Alex hielt die Hunde an und verankerte den Schlitten. Nachdem er Clarissa heruntergeholfen hatte, ging er mit ihr zum Haus und klopfte an der soliden Holztür. »Witwe Barnes! Ich bin’s, Alex! Ich hab Ihnen jemand mitgebracht.«
»Alex? Alex Carmack?« Die Witwe öffnete die Tür und strahlte den Fallensteller an. Sie war eine resolute Frau um die Fünfzig, etwas stämmig um die Hüften und mit dicken Oberarmen, die blonden, von weißen Strähnen durchsetzten Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden. Ihre blauen Augen leuchteten fröhlich. »Wenn ich mich recht erinnere, waren Sie eine Ewigkeit nicht mehr hier.« Sie sah Clarissa an. »Sagen Sie bloß, Sie haben inzwischen geheiratet?«
Clarissa und Alex erröteten gleichzeitig.
»Miss Clara Holland«, erwiderte er. Mit einem verstohlenen Blick machte er Clarissa klar, dass er auch ihren Vornamen ganz bewusst geändert hatte. »Sie ist eine … eine gute Freundin. Sie wird von einem aufdringlichen Liebhaber bedrängt, und ich habe ihr gesagt, dass man sich in Beaver Creek gut verstecken kann. Meinen Sie, sie könnte den Winter über bei Ihnen wohnen?«
»Ich habe etwas Geld dabei«, sagte Clarissa schnell.
Die Witwe winkte lächelnd ab. »Lassen Sie Ihre Dollar stecken, Schätzchen. Bei mir brauchen Sie kein Geld. Ich helfe Ihnen gern, diesem aufdringlichen Kerl ein Schnippchen zu schlagen. Ich wäre froh gewesen, wenn ich damals so einen Ort gehabt hätte. Alex hat Ihnen sicher erzählt, dass mein Jimmy mit unseren Ersparnissen durchgebrannt ist. Ist kein Geheimnis, dass ich zu dumm war, um diesen Mistkerl zu durchschauen. Wenn Sie wollen, können Sie bei mir sogar was verdienen. Ich bräuchte eine Bedienung für mein Café. Mit einer jungen Frau wie Ihnen verdoppele ich den Umsatz.«
»Solange mich keiner dieser Holzfäller belästigt, Mrs Barnes.«
»Sagen Sie ›Witwe Barnes‹ zu mir, so nennen mich hier alle«, erwiderte sie lachend. »Und keine Angst, in meinem Haus hat sich noch keiner danebenbenommen. Wer sich nicht an die Regeln hält, fliegt raus.« Sie griff hinter sich und zog ein Nudelholz hervor. »Dafür hab ich das hier und einen Colt Navy, das einzig Wertvolle, das mir mein Ex-Mann hinterlassen hat.«
»Das beruhigt mich, Witwe Barnes.«
»Kein Problem, Schätzchen.«
Alex schien erleichtert zu sein. »Kann ich meinen Schlitten und die Hunde bei Ihnen lassen, Witwe Barnes? Und ein Zimmer für die Nacht bräuchte ich auch. Vielleicht bleibe ich noch zwei, drei Tage hier, bevor ich in meine einsame Hütte zurückkehre. Was meinen Sie?«
»Kein Problem. Aber Sie bekommen nichts umsonst.«
Er kramte in seinen Anoraktaschen und zählte ihr zwei Münzen die Hand. »Hier, das dürfte wohl genügen. Bevor ich’s im Saloon ausgebe und heute Nacht auf der Straße schlafen muss. In der Zwischenzeit unterhalte ich mich mal mit Ben Cook. Vielleicht kauft er mir wieder einige meiner Pelze ab. Ich wette, er zahlt besser als die Halsabschneider in Lytton oder Ashcroft unten.«
Er sah Clarissa an und wirkte dabei etwas wehmütig, was eigentlich gar nicht zu ihm passte und auch ihr zu schaffen machte. »Ich … Ich wollte …« Er wusste anscheinend nicht, was er sagen sollte, und blickte die Witwe an.
Die verstand ihn sofort. »Ich geh schon mal rein und setze Teewasser auf. Ich hoffe, Sie wissen guten Tee zu schätzen, Schätzchen. Kaffee ist nur was für Holzfäller und Fallensteller. Ein wenig Gebäck habe ich wohl auch noch.«
Clarissa hörte gar nicht hin. »Du willst dich schon verabschieden?«
»Nur zur Sicherheit«, erwiderte er, »falls du nicht in der Nähe bist, wenn ich morgen oder übermorgen verschwinde. Vielleicht breche ich auch heute Nacht schon
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