Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Eisenriegel an Sineads Tür, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken.
„Seth?“
Sie war wach.
Ich hielt inne und war wie gelähmt von dem Anblick, der sich mir bot. Aber wie hatte ich erwarten können, dass sie zur Stelle sein würde, nur weil ich plötzlich ein Bedürfnis nach ihr verspürte?
Fraser stützte sich blinzelnd auf den Ellbogen. Als er mich erkannte, lächelte er freundlich und verschlafen. Sinead wickelte ein Laken um ihren nackten Körper, vielleicht auch, um sich die Kälte der Nachtstunde vom Leib zu halten. Sie schlüpfte aus dem Bett, kam zu mir und küsste mich auf die Wange. Dann wich sie überrascht zurück.
„Murlainn“, flüsterte sie.
„Ja“, sagte ich.
„Gut. Er passt zu dir.“ Lächelnd küsste sie mich noch einmal, schlang mir schlaftrunken ihre weichen Arme um den Nacken. Dann verschwand ihr Lächeln auf einmal. „Was ist denn?“
„Nichts.“
„Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mich heute Nacht wollen würdest“, sagte sie leise.
„Ich weiß.“ Ich hielt ihre Arme fest, dann zögerte ich, sah zu dem verwirrt dreinblickenden Fraser hinüber und ließ sie los. Während ich ihre Arme von meinem Nacken löste, küsste ich sie.
„Ich werde dich vermissen“, sagte ich.
„Das hoffe ich doch.“ Sie fuhr mir mit den Fingerspitzen zärtlich über den Wangenknochen, Tränen glitzerten in ihren Augen. „Komm bitte wieder zurück.“
„Ja“, sagte ich. „Bald.“
„Seth“, sagte sie. „Komm einfach wieder.“
9. Kapitel
E ine Geisel zu sein war gar nicht so unerträglich, wie ich gedacht hatte. Wir waren zu dritt, bekamen einen eigenen Bereich zugeteilt, anständiges Essen und wurden gut behandelt. Außerdem waren die Überlebenden unter den Männern von Fox’ Vater mitgekommen, darauf hatte Conal bestanden. Die Männer waren gern mitgekommen, da sie sich den Zwillingen jetzt genauso verbunden fühlten wie seinerzeit dem Vater. Auf diese Weise hatten wir Freunde dabei, die uns kannten und verstanden, mit denen wir über die Festung und das Meer und die schwarzen Rinder und den Duft der Heide reden konnten. Wir durften sogar ausreiten oder jagen gehen, allerdings nur in Begleitung von Kates Kämpfern. Und das taten wir auch so oft wie möglich, um der finsteren Schönheit der unterirdischen Festung zu entfliehen. Denn das Einzige, was ich an meiner Gefangenschaft nicht ertrug, war die Abwesenheit des Himmels.
Nun ja, die Abwesenheit des Himmel s – und die Anwesenheit meiner Mutter.
Lilith hatte offenbar beschlossen, mich zu ignorieren, und das war mir nur recht. Hatte ich sie je geliebt? Hatte sie mir je Anlass dazu gegeben oder mich dazu ermuntert? Manchmal betrachtete ich sie und überlegte, dass ich sie wohl doch mal geliebt haben musste, als ich ganz klein war. Aber ich fand in mir nicht mal den Hauch einer Erinnerung. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sich das anfühlte, Lilith zu lieben.
Sie war immer in Kates Nähe, an ihrer rechten Seite, und sie befehligte die Hauptmänner mit der unbeschwerten Anmut eines Menschen, der Gehorsam erwartet und gewohnt ist. Ich wusste, dass die Leute sie viel mehr fürchteten als respektierten, aber so oder s o – es funktionierte. Außerdem war sie von einer Ehrfurcht gebietenden Schönheit, was mir bisher noch nie so richtig aufgefallen war. Und ich hatte vergessen, wie liebreizend Kate NicNiven war, aber als Siebenjähriger hatte mir das wohl nicht so viel bedeutet. Und bei meinem letzten Zusammentreffen mit ihr war ich mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, die ich nicht einmal mehr versuchte zu verstehen. Jetzt hingegen hatte ich jede Menge Zeit, Kate zu beobachten, sie zu studieren, sie einzusaugen. Von ihr geblendet zu sein.
Unsere Königin war die Tochter des Schnees, so schön und Furcht einflößend wie ihr Name, aber sie hatte nichts Kaltes an sich. Ihre Haare waren ein üppiger Wasserfall aus kupferfarbener Seide, ihre Augen warm wie Bernstein, ihre Haut schimmerte unterirdisch blass, doch sie schien irgendwie von innen heraus zu leuchten. Nur die Götter mochten wissen, wie alt sie wirklich war. Sicher noch älter als Lilith. Und weitaus älter als wir anderen, abgesehen von Leonora. Und wer nun denkt, ein extrem hohes Alter ließe einen gütig und vorausschauend und weise werden, der täuscht sic h – es macht einen neurotisch, rücksichtslos und grausam.
Das immerhin hatte ich über mein Geschlecht gelernt, da unten in dem schwarzen Labyrinth von Kate NicNiven.
Immer wieder
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