Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Vergessen. Seine Hufe schleuderten Steine und Erdklumpen nach allen Seiten, lösten Gerölllawinen aus, aber es stürmte unbeirrt weiter. Einen Augenblick dachte ich schon, wir wären vom glitschigen, tückischen Untergrund abgehoben und flögen durch die Luft. Ich umklammerte seine Mähne noch fester und beugte mich vor, um meine Wange an seinen muskulösen Nacken zu drücken und meinen Geist auf die Suche zu schicken. Und das war der Augenblick, in dem ich den Geist des Pferdes fand.
Ich hatte ihn gefunden. Ich wusste es. Ich erkannte ihn wieder. So viel Hunger, so viel Gewalt. So viel ursprüngliches Verlangen. Ich erkenne dich.
Das Pferd stieß die Hufe in den festen Ufergrund und stürzte auf die silberne Wasserlinie zu, aber ich drang mit meinem Geist in den seinen und wandte es ab, langsam, ganz langsam. Auf dem Kiesstrand angekommen, wirbelten wir herum. Die Hufe schlugen auf die Steine wie Kennas Hammer Funken sprühend auf den rohen Stahl. Dann waren wir wieder im Moor, die Hufe hallten wie Donnerschläge. Es war herrlich. Sein Herz war meines. Ich saß auf seinem Rücken, wir überholten den Win d – und wir waren eins.
„Hab ich doch gesagt, es gibt nichts Besseres.“ Conal hielt mir das Zaumzeug hin.
Ich glitt von meinem Pferd, eine Hand immer noch in seiner Mähne vergraben. Ich bebte am ganzen Körper, vielleicht konnte ich deswegen nicht loslassen. Aber ich wollte auch nicht mehr loslassen, nie wieder.
Conal, der meinen Gedanken gehört hatte, lachte auf. „Das geht nicht, glaub mir. Und jetzt zäume ihn auf.“
Atemlos streifte ich dem Pferd das Zaumzeug über den schwarzen Kopf, aber es schnaubte nur freundlich und nahm die Kandare an, als wäre es ein wohlerzogenes Kinderpony. Ich konnte den Blick nicht von ihm abwenden, ließ mir Zeit, als ich das Zaumzeug festzurrte, und sagte: „Conal. Mein Name.“
„Ja.“
„Kanntest du ihn schon vorher?“
„Natürlich nicht. Sonst hätte ich ihn dir genannt. Gefällt er dir?“
Ich sah ihn immer noch nicht an, grinste aber.
„Ja, mir auch“, sagte Conal. „Ich bin bloß ein jämmerlicher Hütehund. Und du bist ein kleiner, aber todbringender Falke. Du verdammter Gauner.“
Jetzt hatte ich meinen Namen. Und mein Pferd. Das Leben hätte schöner nicht sein können. Wenn es den nächsten Tag nur nicht gegeben hätt e …
Auf einmal hatte ich das Bedürfnis, das alles mit jemandem zu teilen. Ich brauchte Sinead, ich wollte, dass sie meinen Namen erfuhr, ich verzehrte mich nach ihr, und zwar nicht nur körperlich. Ich brauchte meine Freundin, meine Geliebte, bevor wir für wer weiß wie lange getrennt wurden. Wie lange würde Conal Herrscher über seine Festung sein müssen, bis Kate ihm endlich vertraute? Wie viele Jahre würde ich wie ein Wurm unter der Erde leben müssen?
Aber in jener Nacht konnte nicht einmal diese Aussicht meine Stimmung trüben. Als Conal und ich genug davon hatten, mit unseren Pferden um die Wette um den See herum zu galoppieren, nahm ich meinem Tier das Zaumzeug ab, ließ es laufen und schwang mich wieder hinter Conal aufs Pferd. Schließlich konnte ich mein Pferd ja nicht mit zu Kate nehmen. Es wäre ungerecht gewesen, einem wilden Tier so etwas anzutun. Außerdem lag ihm, wie all seinen Artgenossen, eine Mischung aus wilder Treue, Unberechenbarkeit und purer Gewalt im Blut. Gewiss wäre es innerhalb einer Woche von irgendeinem Gefolgsmann Kates erschossen worden. Schließlich zeichnete Kates Männer allesamt eine Mischung aus fehlendem Aberglauben und latenter Todessehnsucht aus.
Im Hof angekommen, blieb ich zögernd vor den Stallungen stehen. Conals Schritte verhallten, seine Tür schloss sich mit einem leisen Klicken und ich fragte mich, ob wohl eine Frau in seinem Zimmer auf ihn wartete. Wahrscheinlich schon. Ich grinste in mich hinein. Wenn sie seinetwegen bis jetzt wach geblieben war, würde sie vermutlich enttäuscht sein: Bei unserem Abschied war Conal mir vorgekommen wie jemand, der sich nichts sehnlicher wünschte, als eine ganze Woche durchzuschlafen.
Bei mir war das ganz anders. Ich war wie berauscht, wie betrunken. Aber der Rausch hatte nur meinen Kopf befallen, Magen und Gliedmaßen waren bis jetzt verschont geblieben. Ich machte kehrt und hielt auf den Südflügel der Festung zu. Lautlos schlich ich über den nackten Steinboden der Gänge. In einem sternenbeschienenen Winkel stieß ich sachte eine Eichentür auf, folgte dem flackernden Licht heruntergebrannter Fackeln und öffnete den
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