Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
ich, dass ich nicht gerade der klügste Krieger unter der Sonne bin. Heute weiß ich, dass man mich austricksen, hinters Licht führen und übervorteilen kann. Heute weiß ich, wie wichtig es ist, einen Plan für den Notfall zu haben.
Damals jedoch wusste ich all das noch nicht. Es zu lernen, stand mir noch bevor.
Am folgenden Abend machte ich mich wieder auf den Weg zur Burg. Eine Stunde lang verharrte ich im Schatten der Bäume, panische Angst lastete tonnenschwer auf meiner Brust und vernebelte mein Hirn. Ich raufte mir die Haare, im wahrsten Sinne des Wortes, riss an ihnen, bis es schmerzte, und versuchte mit aller Macht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es gelang mir nicht. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Die Wachposten an der äußeren Mauer waren verdreifacht worden. Es waren nun auch keine ortsansässigen Clansmänner mehr, sondern die mürrisch dreinblickenden, skrupellosen Söldner des Priesters. Und die waren schlau genug, die Augen offen zu halten und vor allem aufeinander aufzupassen. Diese unerbittlichen Kämpfer würde ich nicht so ohne Weiteres in den Schlaf schicken können und ihre Waffen würden sie sich auch nicht einfach so abnehmen lassen.
Ich strich in großem Abstand um die Burg herum, immer im Schutz der Bäume. Offenbar war nur an der Seite der Mauer, hinter der sich Conals Verlies befand, die Wachmannschaft verstärkt worden. Ein kalter Schauer rieselte mir den Rücken hinunter. Wie nur hatten sie ahnen können, dass ich zu ihm gelangen wollen würde?
Zwei Tage. War das genug Zeit, um das Schleusentor zu erreichen? Schon, aber die Zeit konnte auch unerwartet aus dem Takt geraten. Das kam oft vor. Es würde vollkommen egal sein, wie sehr ich mich beeilte, wenn plötzlich ein Monat verflog, bis ich meinen Clan erreichte, um Hilfe zu holen. Oder ein Jahr.
Wie lange würde Conals Todeskampf dauern? Wie lange würde es ihm vorkommen?
Das Burgtor öffnete sich. Der Priester trat heraus, die Hände fromm vor der Brust gefaltet. Direkt neben mir ragte das Wurzelgeflecht einer Kiefer in die Höhe, die offenbar von einem Frühlingssturm umgerissen worden war. Stamm und Äste waren nicht mehr da, dafür der schlammbedeckte Wurzelkörper, der fast doppelt so groß war wie ich. Ich ging dahinter in Deckung und spähte durch die Bäume.
Der Priester schritt zu den neuen Wachen hinüber. Die Schöße seines Gewandes flatterten wie Fledermausflügel im Wind. Er sprach kurz mit den Wachleuten, erntete allseitiges Nicken und Zustimmung, mal wurde in Richtung der Hügel gedeutet, mal zu den Bäumen hin und einmal schauten sogar alle gleichzeitig zu meinem Versteck herüber.
Der Priester sah zu Boden und stampfte fest mit dem Fuß auf. Ich hörte ein metallisches Scheppern. Dann beugte er sich vor, zog mit den Fingerspitzen an etwas, zerrte und rüttelte und richtete sich schließlich mit einem zufriedenen Nicken wieder auf. Mir wurde flau im Magen und Tränen schossen mir in die Augen.
Sie hatten das kleine vergitterte Loch abgedeckt. Sie hatten Conal sein letztes Licht genommen, seine letzte Luft, seine letzte Chance auf einen selbstbestimmten Tod.
Der Priester entfernte sich von den Wachen, ging aber nicht wie sonst zu seinem Pferd hinüber, sondern in Richtung der Bäum e – direkt auf mich zu. Einen Moment lang überkam mich Panik und fast wäre ich aus meinem Versteck aufgesprungen und davongelaufen. Nie waren mir die Hasen und Vögel, die ich im Laufe meines Lebens gejagt und erlegt hatte, näher als jetzt.
Aber dann richtete der Mann seinen trüben Blick auf die Böschung und den Wald, und da wusste ich, dass er mich nicht gesehen hatte. Ich wähnte mich in Sicherheit, dachte, ich könnte wieder frei durchatmen. Doch was dann passierte, traf mich wie ein Schlag und raubte mir fast die Sinne.
Wo steckst du?
Seine Stimme erklang klar und deutlich in meinem Kopf. Den Bruchteil einer Sekunde fürchtete ich, ich hätte meinen Schutzwall fallen lassen. Aber so unvorsichtig war ich nicht gewesen, den Göttern sei Dank. Doch wie um alles in der Welt hatte er das gemacht? Wie konnten die Gedanken eines Vollsterblichen wie ein Jagdruf durch den Wald schallen?
Wo hast du dich versteckt, kleiner Hexenmeister? Er hielt die Nase in den Wind und lächelte. Es wirkte wie das Lächeln einer Totenmaske. Ich kann dich riechen, du Wicht. Ich konnte dich im Gras vor der Burg riechen und jetzt rieche ich dich auch.
Keine Panik, sagte ich mir. Nicht weglaufen. Nicht weglaufen!
Wir haben deinem
Weitere Kostenlose Bücher