Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Vampir, der dich schuf?‹
›Ja‹, erwiderte er. ›Eine Liebe, so stark, daß er mir nicht gestatten konnte, zu altem und zu sterben. Eine Liebe, die geduldig wartete, bis ich stark genug war, der Dunkelheit geboren zu werden. Willst du mir etwa sagen, es bestand kein Band der Liebe zwischen dir und dem Vampir, der dich schuf?‹
›Keine‹, sagte ich schnell, mit einem bitteren Lächeln, das ich nicht unterdrücken konnte.
Er sah mich aufmerksam an und fragte: ›Warum dann hat er dir diese Kräfte gegeben?‹
Ich antwortete: ›Du siehst diese Kräfte als ein Geschenk. Natürlich, verzeih mir, aber mich verblüfft, daß du in der Mannigfaltigkeit deines Geistes so einfältig sein kannst.‹
Er lächelte. ›Soll das eine Beleidigung sein?‹ Doch seine ganze Art bestätigte nur, was ich gerade gesagt hatte. Er schien so unschuldig. Offenbar fing ich gerade erst an, ihn zu verstehen.
›Nein‹, versicherte ich, und mein Pulsschlag wurde schneller, als ich ihn ansah. ›Du bist alles, wovon ich träumte, als ich ein Vampir wurde. Du siehst diese Kräfte als ein Geschenke wiederholte ich. ›Doch sage mir - empfindest du noch Liebe zu diesem Vampir, der dir das ewige Leben gab? Fühlst du sie jetzt noch?‹
Er schien nachzudenken, und dann sagte er langsam: ›Warum ist das von Belang?‹ Doch er fuhr fort: ›Ich glaube nicht, daß ich viel Glück gehabt habe in meiner Liebe zu Menschen oder Dingen. Ja, ich liebe ihn noch. Vielleicht nicht so, wie du meinst. Mir scheint, es gelingt dir mü helos, mich zu verwirren. Du bist ein Rätsel. Jedenfalls brauche ich ihn nicht mehr, diesen Vampir.‹
»Mir wurde ewiges Leben und verschärftes Wahrnehmungsvermö gen verliehen, dazu das Verlangen zu töten‹, erklärte ich schnell, ›weil der Vampir, der mich schuf, es auf mein Geld und das Haus, das ich besaß, abgesehen hatte. Kannst du so etwas verstehen? Ach, es liegt noch so vieles andere hinter dem, was ich sage. Es wird mir nur so langsam deutlich, so unvollständig. Siehst du, es ist, als hättest du eine Tür einen Spaltbreit für mich geöffnet; und licht dringt heraus, und ich sehne mich danach hineinzugehen, die Region zu betreten, die nach deinen Worten dahinter liegt. Der Vampir, der mich erschuf, war alles, was ich ehrlich für böse hielt: Er war so bedrückend, so nüchtern, so dürftig, so enttäuschend, wie ich mir das Böse nur vorstellen konnte. Ich weiß es jetzt. Aber du, du bist das gerade Gegenteil. Öffne mir die Tür ganz. Erzähle mir von dem Palast in Venedig, erzähle die Geschichte von Liebe und Verdammnis. Ich möchte sie verstehen.‹
Er sagte: ›Du betrügst dich selber. Der Palast ist dir gleichgültig. Die Tür, die du siehst, führt zu mir, und zwar jetzt. Um mit mir zu leben, so wie ich bin. Auch ich bin böse, doch mit Abstufungen und ohne Schuld.‹
›Ja, so ist es‹, murmelte ich.
›Und das macht dich unglückliche sagte er. ›Dich, der zu mir in meine Klause kam und sagte, es gäbe nur eine Sünde, die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschenlebens.‹
›Ja…‹, sagte ich. ›Wie mußt du mich ausgelacht haben…‹
›Ich habe dich nie ausgelachte sagte er. ›Ich kann es mir nicht leisten, über dich zu lachen. Du bist es, durch den ich mich vor der Verzweiflung bewahren kann, die ich dir als unseren Tod beschrieb. Durch dich muß ich Anschluß an dieses neunzehnte Jahrhundert finden und es so verstehen lernen, daß es mich neu belebt. Auf dich habe ich im Theater gewartet. Wenn ich einen Sterblichen wüßte mit solcher Sensibilität und Leiderfahrung, ich würde auf der Stelle einen Vampir aus ihm machen. Aber das ist kaum möglich. Nein, ich mußte warten und nach dir Ausschau halten. Und nun werde ich um dich kämpfen. Siehst du, wie rücksichtslos ich in der Liebe bin? Ist es das, was du unter Liebe verstanden hast?‹
›O ja!‹ erwiderte ich, ›aber du würdest einen schrecklichen Fehler begehen^ Seine Worte drangen nur langsam in mich ein. Nie hatte ich meine alles verderbende Gehemmtheit so deutlich empfunden. Ich konnte ihn nicht befriedigen, das war vorauszusehen; ich konnte Claudia nicht befriedigen, war nie imstande gewesen. Lestat zu befriedigen. Und mein eigener sterblicher Bruder Paul - wie furchtbar hatte ich ihn enttäuscht!
›Nein‹, sagte er ruhig, ›ich muß Fühlung mit dem Zeitalter haben. Ich kann es durch dich… nicht, um Dinge von dir zu lernen, die ich in einem Museum sehen oder in Büchern lesen kann… du bist
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