Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Zypressen und wildem Wein. Ich konnte die faulige Ausdünstung riechen, das Rascheln der Tiere hören.
Claudia hatte den toten Lestat in ein Laken gehüllt, ehe ich ihn noch berühren konnte, und dann hatte sie, zu meinem Entsetzen, die langstieligen Chrysanthemen darauf gelegt. So roch es nach Begräbnis, als ich die Leiche, als letzte, vom Wagen hob. Sie war fast gewichtslos und schlaff, wie aus Stricken geknüpft, als ich sie über die Schulter nahm und hinunter in den dunklen Sumpf ging, tiefer und tiefer, bis mir das Wasser in die Stiefel drang. In dem Schlamm suchte ich nach einem Pfad, der von dem Ort wegführte, an den ich die beiden Knaben gelegt hatte. Ich ging mit Lestats sterblichen Überresten weiter und weiter in den Sumpf hinein; warum ich das tat, wußte ich nicht. Endlich, als ich kaum noch den schmalen Streifen der Straße erkennen konnte und sich am Himmel schon die Dämmerung ankündigte, ließ ich den Leichnam aus den Armen ins Wasser gleiten und sah die formlose weiße Masse unter der schleimigen Oberfläche versinken. Die Lähmung, die mich während der Fahrt erfaßt hatte, war gewichen, ich fühlte mich leer und ausgehöhlt, stand da und starrte und dachte: Das ist Lestat. Das ist alles, was bleibt von der geheimnisvollen Verwandlung, tot, in ewige Finsternis entschwunden. Und ich fühlte mich seltsam hinabgezogen, als riefe mich eine Stimme hinunter zu ihm, niederzusteigen in die feuchte Schwärze und niemals wiederzukehren. Es war so stark und deutlich und sprach ohne Worte: ›Du weißt, was du tun mußt. Komm herab in die Dunkelheit. Laß alles andere fahren.‹
Doch im gleichen Augenblick hörte ich Claudias Stimme. Sie rief meinen Namen. Ich wandte mich um und sah sie zwischen den Schlingpflanzen, weit ab und winzig, wie ein weißes Flämmchen.
Am Morgen, in der Abgeschlossenheit unseres Sarges, schlang sie die Arme um mich, legte den Kopf an meine Brust und flüsterte, sie liebe mich und wir seien nun für immer von Lestat befreit. ›Ich liebe dich, Louis!‹ sagte sie immer wieder, als sich der Sargdeckel schloß und das Dunkel uns umfing und barmherzig alles Bewußtsein auslöschte.
Als ich erwachte, war sie schon auf und damit beschäftigt, Lestats Sachen durchzusehen. Sie tat es schweigend, beherrscht, mit verbissenem Eifer, leerte Schränke und Schubladen, nahm jeden Anzug vom Bügel und kehrte die Taschen um, häufte alles auf dem Teppich auf, warf Zettel, alte Theaterbilletts und Münzen fort. Sein Sarg, den sie drapiert hatte, stand daneben, und mir war, als müsse ich ihn öffnen, um Lestat drin liegen zu sehen. ›Nichts!‹ sagte Claudia endlich enttäuscht und angeekelt. Sie stopfte die Kleider in den Kamin. ›Kein Hinweis, woher er kam oder wer ihn gemacht hat. Nicht der kleinste Fetzen.‹ Sie sah mich an, als erwarte sie Verständnis von mir; doch ich wandte mich ab, ich konnte sie nicht anschauen. Ich ging in mein Zimmer, wo ich meine Bücher und die Andenken an meine Mutter und Schwester hatte, und setzte mich auf das Bett. Ich hörte sie eintreten, aber ich wollte sie nicht sehen. ›Er hat es verdient zu sterben‹, sagte sie.
›Dann verdienen wir es ebenfalls›, sagte ich. ›Auf die gleiche Weise, jede Nacht unseres Lebens. Geh fort von mir!‹ Ich sprach, wie es mir in den Sinn kam, in meinem Kopf wirbelte alles durcheinander. ›Ich werde weiter für dich sorgen, weil du nicht selber für dich sorgen kannst. Aber ich will dich nicht mehr neben mir haben. Schlafe in dem Sarg, den du dir gekauft hast. Komm mir nicht in die Nähe!‹
Sie erwiderte: ›Ich habe dir gesagt, daß ich es tun werde; ich habe es dir gesagt…‹ Nie hatte ihre Stimme so zart geklungen, wie ein Silberglöckchen. Doch ihr Gesicht, als ich endlich zu ihr aufschaute, schien nicht das gleiche. Ein Puppengesicht kann nicht solche Erregung zeigen. ›Ich habe es dir gesagt, Louis‹, wiederholte sie mit zitternden Lippen. ›Ich habe es für uns beide getan. Damit wir frei sind.‹ Ich konnte ihren Anblick nicht ertragen, ihre Schönheit, ihre scheinbare Unschuld, und jetzt diese Erregung; ich ging an ihr vorbei, vielleicht habe ich sie beiseite gestoßen, ich weiß es nicht, und wollte das Haus verlassen. Als ich schon auf der Treppe war, hörte ich einen seltsamen Ton.
Einen solchen Ton hatte ich während unseres ganzen gemeinsamen Lebens nicht gehört. Nicht seit der Nacht, vor langer, langer Zeit, da ich sie gefunden hatte, ein sterbliches Kind, an ihre Mutter geklammert. Sie
Weitere Kostenlose Bücher