Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Atmen. Aber daneben war noch ein anderer, schwächerer Ton, als die Schritte sich näherten, der stockende, mühsame Atem eines zweiten Wesens. Und ich hörte dessen Herz klopfen, unregelmäßig und angstvoll zitternd, und dazu das andere Herz mit seinem festen, stetigen Schlag, ein Herz, so stark wie das meine! Und dann, in der Toröffnung, durch die wir gekommen waren, sah ich ihn.
Zuerst schob sich eine gewaltige Schulter durch das Tor, ein langer Arm und eine Hand mit gekrümmten Fingern, zuletzt der Kopf. Über der anderen Schulter trug er einen Körper. Er richtete sich auf, schob seine Last zurecht und starrte durch das Dunkel zu uns herüber. In mir straffte sich jeder Muskel, als ich ihm entgegenblickte, die Umrisse seines Kopfes gegen den Himmel sah. Doch nichts in seinem Gesicht war erkennbar außer dem schwachen Blinken des Mondlichtes auf seinem Auge, als wäre es ein Stück Glas.
Ich drückte Claudia fest an mich, bereit, sie beiseite zu schieben, um ihm entgegenzutreten. Doch dann sah ich, daß seine Augen mich nicht so wahrnahmen wie ich ihn, als er, unter seiner Last gebeugt, näher kam. Der Mondschein fiel jetzt voll auf den geneigten Kopf, eine Fülle wirren Haares, das ihm auf die Schulter fiel. Ich sah, daß der Rockaufschlag und der Ärmel zerrissen waren; mir war, als könne ich das nackte Fleisch des Armes sehen. Jetzt regte sich der menschliche Körper auf seiner Schulter und stöhnte erbärmlich, und die Gestalt blieb eine Sekunde stehen und schien den Menschen zu streicheln. Und in diesem Augenblick verließ ich den Schutz der Mauer und trat ihm entgegen.
Kein Wort kam über meine Lippen; ich hätte nichts zu sagen gewußt. Ich wußte nur, daß ich vor ihm in das Licht des Mondes trat und daß er den dunklen, struppigen Kopf mit einem Ruck hob und daß ich seine Augen sah.
Eine Sekunde lang blickte er mich an, und ich sah das Licht in seinen Augen schimmern und auf zwei blitzenden scharfen Hundezähnen; und dann löste sich ein rief er erstickter Schrei aus der Tiefe seiner Kehle, ein Schrei, der mein eigener hätte sein können. Der Menschenkörper fiel auf die Steine, und ein schauderndes Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Und der Vampir stürzte auf mich zu, wieder mit diesem erstickten Schrei, während er mit den klauenförmigen Fingern in meinen Umhang griff und ich den üblen Gestank seines Atems spürte. Ich wankte, stieß mit dem Kopf gegen die Mauer und packte den Kopf des anderen, das wirre Haar und den Mantel, dessen morscher Stoff unter meinen Fingern zerriß; doch der Arm, der mich hielt, war wie Eisen, und als ich seinen Kopf abwehren wollte, berührten die Fangzähne meinen Hals. Hinter ihm schrie Claudia laut auf; etwas Hartes schlug auf seinen Kopf, und dann noch einmal, und er ließ von mir ab. Als er sich umwandte, versetzte ich ihm einen Fausthieb ins Gesicht, so stark ich konnte. Wieder traf ihn ein Stein; Claudia schlüpfte beiseite, und ich warf mich mit meinem vollen Gewicht auf ihn und schlug mehrfach seinen Kopf auf den Boden, um seinen Fangzähnen, seinen Klauen auszuweichen. Wir rollten übereinander, bis ich seine Schultern zurückdrücken konnte. Der Mond schien ihm voll ins Gesicht, und ich erkannte jetzt erst, was ich da mit meinen Armen festhielt. Die zwei großen Augen wölbten sich aus nackten Höhlen, zwei kleine, abscheuliche Löcher waren die ganze Nase. Nur abgestorbenes, lederiges Fleisch umschloß den Schädel, und die widerwärtigen stinkigen Lumpen, die an seinem Knochengerüst hingen, waren voller Erde, Schlamm und Blut. Ich kämpfte mit einem vernunftlosen, tierischen Körper.
Abermals traf ein scharfer Stein seine Stirn, ein Blutstrahl schoß zwischen den Augen unter dem Haarwurst hervor und versickerte im Gras und zwischen den Steinen. Die Brust unter mir hob und senkte sich noch, aber die Arme zitterten und blieben still. Ich richtete mich herz-klopfend auf und lehnte mich gegen die Mauer; die Kehle war mir wie zugeschnürt, das Blut rauschte in meinen Ohren, und jeder Muskel schmerzte von dem Kampf. Claudia kniete auf der Brust des Monsters und warf in alle vier Windrichtungen, was von dem Schädel übriggeblieben war. Wir hatten den europäischen Vampir gefunden, die Kreatur der Alten Welt. Er war tot.«
»Ich blieb lange auf den Treppenstufen liegen, den Kopf auf die kühle Erde gebettet, die sie bedeckte. Claudia stand zu Füßen des toten Vampirs, ließ die Arme an den Seiten herabfallen und schloß eine Sekunde die Augen, und
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