Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
rechts von der Straße?‹
Wieder schüttelte sie heftig den Kopf.
›Nein, nein‹, rief sie. Ich öffnete die Tür und spürte den kalten Lufthauch im Gesicht.
›Ich gehe jetzt. Sagen Sie mir nur, wo die Ruinen sind, damit ich mich von ihnen fernhalten kann. Sagen Sie es mir!‹
›Sie wissen nicht. Sie wissen nicht!‹ rief sie aus. Ich ergriff sie beim Handgelenk und zog sie langsam durch die Tür hinaus. Sie wehrte sich, das Haar fiel ihr ins Gesicht, und sie sah mich mit zornigen Augen an. ›Sagen Sie es mir!‹ wiederholte ich.
Jetzt bemerkte ich, daß sie nicht mich, sondern Claudia anstarrte. Sie sah nicht die runden Wangen und den gespitzten Mund, sondern Claudias Augen, die sie mit dunklem, dämonischem Scharfsinn anblickten. Sie biß sich auf die Lippen.
›Nord oder Süd?‹ fragte ich.
›Nord…‹, flüsterte sie.
›Links oder rechts?‹
›Links.‹
›Und wie weit?‹
Sie versuchte sich zu befreien, doch ich hielt sie fest. ›Drei Meilern, hauchte sie. Ich ließ sie los, so daß sie gegen die Tür taumelte, die Augen aufgerissen in Furcht und Verwirrung. Ich hatte mich zum Gehen gewandt, doch plötzlich rief sie, ich solle warten. Sie eilte hinein, nahm das Kruzifix vom Balken und kam zurück und drückte es mir in die Hand. Und in der dunklen Traumlandschaft meiner Erinnerung sah ich Babette, wie sie mich vor vielen, vielen Jahren angestarrt und die Worte gesprochen hatte: ›Hebe dich hinweg von mir, Satan!‹ Aber im Gesicht dieser Frau war nur Verzweiflung. ›Nehmen Sie es, in Gottes Namen, und fahren Sie schnell!‹ Die Tür schloß sich, und Claudia und ich standen in völliger Finsternis.«
»Die schwachen Laternen unseres Wagens wurden vom Tunnel der Nacht verschluckt, und hinter uns verschwand das Dorf, als hätte es nie existiert. Wir rollten dahin, mit quietschenden Federn, wenn es um eine Biegung ging, und der trübe Mond zeigte uns nur für Sekunden die blassen Konturen der Berge hinter den Fichten. Ich mußte unaufhörlich an Morgan denken, hatte immer noch seine Stimme im Ohr, und damit verband sich die angstvolle Erwartung, das Wesen zu treffen, das Emily getötet hatte, ein Wesen, das fraglos einer von uns war. Doch Claudia war in höchster Aufregung. Am liebsten hätte sie selber die Zügel genommen, um die Pferde anzutreiben, und immer wieder forderte sie mich auf, die Peitsche zu gebrauchen. Sie schlug wild nach den tiefhängenden Zweigen, die plötzlich vor unseren Gesichtern auftauchten; und ihr Arm, den sie auf dem schwankenden Kutschbock um meine Hüfte schlang, griff zu wie eine eiserne Klammer.
Plötzlich, an einer scharfen Wegbiegung, rief sie über den Wind und die klappernden Laternen hinweg: ›Dort, Louis, siehst du?‹ Ich riß an den Zügeln, der Wagen schwankte wie ein Schiff auf hoher See.
Eine graue Wolke hatte gerade den Mond freigegeben, und hoch über uns ragte dunkel ein Turm. Durch eine große Fensteröffnung schien bleich der Himmel. Ich blieb gebannt sitzen, klammerte mich an die Bank und versuchte, meiner Erregung Herr zu werden. Eins der Pferde wieherte… dann war alles still.
Claudia sagte: ›Komm, Louis…‹
Ich flüsterte irgend etwas, eine rasche, unsinnige Ablehnung. Ich hatte das bestimmte und erschreckende Gefühl, daß Morgan bei mir war, daß er zu mir mit seiner leisen, bewegten Stimme sprach, so wie er im Wirtshaus gesprochen hatte. Kein Lebewesen rührte sich in der Nacht, nur der Wind und das leise Rascheln der Blätter.
›Glaubst du, er weiß, daß wir kommen?‹ fragte ich, und meine Stimme kam mir sonderbar fremd vor. Ich glaube, ich zitterte. Dann fühlte ich, wie Claudias kleine Hand sacht meine Hand berührte, die ich an die Augen hob. Die dünnen Tannen schwankten hinter ihr, das Blätterrauschen wurde stärker, als verschlucke ein großes Maul die Brise und ein Wirbelwind bereite sich vor. ›Sie werden sie am Kreuzweg begraben, nicht wahr?‹ flüsterte ich. ›Eine Engländerin!‹
›Ich wollte, ich wäre so groß wie du‹, sagte Claudia. ›Oder du hättest mein Herz. Ach, Louis…‹ Und sie neigte den Kopf zu mir, ganz wie die Vampire tun, wenn sie küssen, so daß ich unwillkürlich zurück schrak; doch sie drückte nur sanft ihre Lippen auf meinen Mund. ›Laß mich dich führen‹, bat sie. ›Es gibt jetzt kein Zurück mehr. Nimm mich auf die Arme, und hilf mir aus dem Wagen.‹
Dann stand sie auf der Straße im schwachen Lichtschein der Laterne und sah zu mir auf, trat zurück und winkte
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