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Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten

Titel: Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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mußte er erst einmal die Erde unter den Füßen spüren, den Wald riechen und in Ruhe das ferne Haus betrachten. Sein Haar war vom Wind zerzaust und noch immer von vertrocknetem Blut verklebt. Die Hose und die schlichte graue Wolljacke, die er in der Ruine seines Hauses gefunden hatte, wärmten ihn nur schlecht. Er hüllte sich fester in seinen schwarzen Umhang, nicht weil die Nacht hier so kalt war, sondern weil er noch immer vom Wind durchfroren war.
    Mael schien seine zögerliche Art nicht zu gefallen, aber er fand sich damit ab. Argwöhnisch blickte er Pandora an, der er noch nie über den Weg getraut hatte, und dann richtete er sein Augenmerk in offener Feindseligkeit auf Santino, der damit beschäftigt war, seine schwarze Kleidung glattzuklopfen und sein hübsches, tadellos geschnittenes schwarzes Haar zu kämmen. Kurz trafen sich ihre Blicke, wobei Santino vor Boshaftigkeit geradezu strotzte; dann wandte sich Mael ab. Marius verharrte in Gedanken versunken. Zu seinem Erstaunen war er nun wieder vollständig geheilt. So wie Sterbliche erfahren müssen, daß sie Jahr um Jahr älter und schwächer werden, müssen Unsterbliche begreifen lernen, daß sie immer stärker werden.
    Kaum eine Stunde war vergangen, seit Santino und Pandora ihn aus der Eisgrube befreit hatten, und jetzt fühlte er sich, als sei nichts geschehen, als wäre er nicht zehn Tage und Nächte lang hilflos eingeklemmt und immer wieder den Alpträumen über die Zwillinge ausgesetzt gewesen.
    Die Zwillinge. Die rothaarige Frau wartete im Haus auf sie. Santino hatte es ihm erzählt. Mael wußte es auch. Aber wer war sie? Und warum wollte er die Antwort nicht wissen? Warum war dies die schwärzeste Stunde seines Daseins? Sein Körper war zweifellos wieder völlig geheilt; aber was würde seine Seele heilen? Armand in diesem seltsamen Holzhaus am Fuß der Berge? Wieder Armand nach all dieser Zeit. Santino hatte ihm auch von Armand erzählt und daß die anderen - Louis und Gabrielle - ebenfalls verschont geblieben waren.
    Mael musterte ihn. »Erwartet auf dich«, sagte er. »Dein Amadeo.« Das klang keineswegs zynisch oder ungeduldig, sondern respektvoll.
    Und aus dem großen Schatz seiner Erinnerungen, den Marius stets mit sich trug, tauchte ein längst verschütteter Augenblick auf - wie Mael in den Palazzo in Venedig kam in jenen seligen Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts, als Marius und Armand so glücklich gewesen waren und Mael den sterblichen Knaben mit den anderen Gesellen an einem Wandbild hatte arbeiten sehen, das Marius erst kürzlich ihren weniger geübten Händen überlassen hatte. Seltsam, wie lebhaft der Geruch der Eitempera und der Kerzen vor ihm auftauchte und jener vertraute Geruch - in der Erinnerung nicht einmal unangenehm -, der ganz Venedig durchdrang, der Fäulnisgestank der dunklen Wasser in den Kanälen. - »Und diesen wirst du zu deinesgleichen machen?« hatte Mael in aller Offenheit gefragt.
    »Wenn’s an der Zeit ist«, hatte Marius abweisend geantwortet, »wenn’s an der Zeit ist.« Kaum ein Jahr später hatte er sich diesen kleinen Schnitzer erlaubt. »Komm in meine Arme, Kleiner, ich kann nicht ohne dich leben.«
    Marius blickte auf das Haus in der Ferne. Meine Welt erzittert, und ich denke an  ihn, meinen Amadeo, meinen Armand. Bitterkeit war nichts gegen seine gegenwärtige Geistesverfassung.
     
    Hätte sie alle vernichten sollen,
    Die Mutter und
    Den Vater.
    Hätte uns alle vernichten sollen.
     
    »Den Göttern sei Dank«, sagte Mael, »daß du das nicht getan hast.« »Und warum?« fragte Marius. »Sag mir, warum?«
    Pandora erschauderte. Er spürte, wie sich ihr Arm um seine Hüfte legte. Und warum wurde er darob so wütend? Er wandte sich ihr abrupt zu; er wollte sie schlagen, sie fortstoßen. Aber was sich seinen Augen darbot, ließ ihn innehalten.
    Sie sah ihn nicht einmal an; sie blickte so abwesend und müde drein, daß er seine eigene Erschöpfung um so stärker spürte. Er wollte weinen. Pandoras Wohlergehen war immer entscheidend für sein eigenes Überleben gewesen. Er mußte nicht einmal in ihrer Nähe sein - es war sogar besser, wenn sie getrennt waren -, aber er mußte wissen, daß sie irgendwo war, daß sie einander wiedertreffen würden. Jetzt jedoch beschlich ihn eine böse Ahnung. Wenn er verbittert war, so war Pandora verzweifelt.
    »Komm«, sagte Santino, »sie warten.« Er sagte das mit erlesener Höflichkeit. »Ich weiß«, antwortete Marius.
    »Ach,

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