Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
es noch vor wenigen Augenblicken wolltest. Gehe hinaus in den üppigen Garten, der diese Villa umgibt, beobachte die Bienen in ihren Körben und die Ameisen, die arbeiten, wie sie es immer getan haben. Sie sind weiblich, mein Prinz, in Millionenzahl. Ein männliches Exemplar ist nur eine Abweichung und ein Funktionsträger. Sie kannten den weisen Kunstgriff, die Zahl der männlichen Exemplare zu begrenzen, lange vor mir.
Und wir leben vielleicht jetzt in einem Zeitalter, in dem Männer absolut überflüssig sind. Sag, mein Prinz, was ist heute der hauptsächlichste Sinn der Männer, wenn nicht der, daß sie Frauen vor anderen Männern beschützen?« »Warum willst du mich bei dir haben?« fragte ich verzweifelt. Ich drehte mich um und sah sie wieder an. »Warum hast du mich zu deinem Begleiter gewählt? Um Himmels willen, warum tötest du mich nicht mit den übrigen Männern? Suche dir einen anderen Unsterblichen, irgendein uraltes Wesen, das sich nach solcher Macht sehnt! Das muß es geben. Ich will nicht die Welt beherrschen! Ich will überhaupt nichts beherrschen! Ich wollte es nie.«
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nur wenig. Ein schwacher Anflug von Betrübnis schien für einen Augenblick die Schwärze ihrer Augen noch zu vertiefen. Ihre Lippen zuckten, als wollte sie vergeblich etwas sagen. Dann antwortete sie.
»Lestat, wenn die ganze Welt zerstört wäre, ich würde dich nie vernichten«, sagte sie. »Aus Gründen, die ich selbst nicht verstehe, sind deine Schwächen genauso entzückend wie deine Tugenden. Aber noch aufrichtiger liebe ich dich vielleicht, weil du so vollkommen alle männlichen Fehler verkörperst. Aggressiv bist du, haßerfüllt und rücksichtslos und voller unendlich wortreicher Entschuldigungen für Gewalttätigkeit - du bist die Inkarnation der Männlichkeit, und solche Reinheit besitzt strahlende Größe. Aber nur, weil sie jetzt beherrscht werden kann.«
»Von dir.«
»Ja, mein Liebling. Das ist es, wofür ich geboren wurde. Deswegen bin ich hier.
Und es spielt keine Rolle, wenn niemand mein Vorhaben gutheißt. Ich werde es so durchrühren. Das Feuer der Männlichkeit hat die Welt lange genug in Bewegung gehalten, und es hat sie dabei fast vernichtet. Das wird jetzt anders werden, und dann soll euer Feuer noch viel heller brennen - wie eine leuchtende Fackel.« »Akascha, glaubst du nicht, daß die Seelen der Frauen eben dieses Feuer ersehnen? Mein Gott, willst du sogar den Sternen ins Handwerk pfuschen?« »Ja, die Seele sehnt sich danach. Aber gebändigt und geläutert, als Leuchten einer Fackel oder Flamme einer Kerze. Und nicht so wie jetzt als Feuersbrunst, die durch jeden Wald und über jeden Berg und in jedem Tal rast. Keine Frau, die sich je gewünscht hat, davon verbrannt zu werden! Sie wollen das Licht, mein Schöner, das Licht! Und die Wärme! Aber nicht die Zerstörung. Wie sollten sie? Sie sind lediglich Frauen. Sie sind nicht verrückt.«
»Akascha, es muß einen Weg geben ohne den Tod! Zwinge die Männer, dir zu gehorchen. Blende sie, wie du die Frauen geblendet hast, wie du mich geblendet hast.«
»Aber Lestat, genau das ist der springende Punkt; sie würden niemals gehorchen. Wirst du gehorchen? Sie würden eher sterben, so wie du eher sterben würdest, als zu gehorchen. Sie würden einen weiteren Grund zum Aufstand haben, als ob es daran mangelte. Sie würden sich zu einer mächtigen Widerstandsbewegung zusammenschließen. Sie würden sich einbilden, gegen eine Göttin zu kämpfen. Wie es aussieht, werden wir das nach und nach zur Genüge erleben. Sie können nicht anders, als Männer sein. Und ich könnte nur durch Tyrannei herrschen, durch endloses Töten. Und es würde Chaos herrschen. Nur auf dem jetzt gewählten Weg wird die endlose Kette von Gewalt durchbrochen. Und ein Zeitalter reinen und vollkommenen Friedens wird anbrechen.«
Ich war wieder still. Ich konnte mir tausend Antworten vorstellen, aber sie trafen alle nicht den Kern. Sie kannte ihr Ziel nur zu gut. Und es stimmte einfach, daß sie in vielen Dingen recht hatte. »Aber das ist Wahnsinn!« flüsterte ich. Erschöpft setzte ich mich auf das Bett, einem sterblichen Menschen gleich. Ich stützte die Ellbogen auf die Knie. Großer Gott, großer Gott! Warum kamen mir diese zwei Worte dauernd in den Sinn? Es gab keinen Gott! Ich war mit Gott zusammen in diesem Zimmer.
Sie lachte triumphierend.
»Ja, mein Lieber«, sagte Akascha. Sie nahm meine
Weitere Kostenlose Bücher