Chronik der Vampire 03 - Königin der Verdammten
manchmal zu Fuß, manchmal indem er sich in die Lüfte schwang und einem bestimmten Platz entgegensegelte.
Wer ihm in die Quere kam, den bezauberte er durch seinen Charme, und tagsüber schlief er leichtsinnig in irgendwelchen Verstecken. Schließlich verbrannte ihn die Sonne nicht mehr. Dennoch war er im Sonnenlicht zu nichts tauglich. Seine Augen schlössen sich, sobald er das Licht am Morgenhimmel sah. Stimmen, all diese Stimmen, andere Bluttrinker in qualvollem Geschrei - dann nichts. Und er erwachte bei Sonnenuntergang, begierig, die uralten Konstellationen der Sterne zu entziffern.
Er verfügte noch über eine andere, höchst interessante Fähigkeit:
Er konnte ohne seinen Körper reisen. Nun, nicht eigentlich reisen. Aber er konnte seine Sehkraft gleichsam fortsenden, um weitentlegene Dinge zu erblicken. Wenn er auf dem Bett lag, konnte er sich beispielsweise einen fernen Ort vorstellen, den er gerne sehen würde, und plötzlich war er einfach dort. Nun ja, es gab auch einige Sterbliche, die zu derlei fähig waren, entweder in ihren Träumen oder mit einem Höchstmaß an Konzentration im Wachzustand. Manchmal strich er an ihren schlafenden Körpern vorbei und spürte, daß ihre Seelen auf Reisen waren. Aber die Seele selbst hatte er niemals zu sehen vermocht. Gespenster, Geister konnte er nicht sehen.
Aber er wußte, daß sie da waren. Sie mußten dasein.
Und eine alte Erinnerung stieg in ihm hoch, daß ihm einst als Mensch die Priester im Tempel einen starken Zaubertrank gereicht hatten und daß er auf nämliche Weise aus seinem Körper zum Firmament emporgeschwebt war. Die Priester hatten ihn zurückgerufen, aber er wollte nicht zurück. Er war bei jenen Toten gewesen, die er liebte. Gleichwohl wußte er, daß er zurückkehren mußte.
Eine Erwartung, die es zu erfüllen galt.
Ohne Zweifel war er damals ein Mensch gewesen. Er konnte sich des Schweißes auf seiner nackten Brust erinnern, als er in dem staubigen Raum lag und sie ihm den Zaubertrank brachten. Angst. Aber da mußten alle durch.
Vielleicht war es besser, so zu sein, wie er jetzt war, und mit Körper und Seele zugleich fliegen zu können.
Aber nicht zu wissen, nicht zu verstehen, wie er derlei vollbringen konnte oder warum er von Menschenblut lebte - all das schmerzte ihn zutiefst.
In Paris ging er in Vampirfilme und versuchte herauszubekommen, was richtig und was falsch war. All dies war ihm vertraut, obwohl vieles ziemlich albern war. Der Vampir Lestat hatte seine Kleidung nach diesen alten Schwarzweißfilmen ausgewählt. Die meisten »Kreaturen der Nacht« trugen die gleiche Tracht - den schwarzen Umhang, das gestärkte weiße Hemd, das schwarze Jackett mit Schwalbenschwänzen, die schwarzen Hosen.
Vielleicht sollte auch er sich so eine elegante Tracht zulegen; das würde ihm ein wenig Trost bereiten. Das würde ihm das Gefühl vermitteln, zu etwas dazuzugehören, selbst wenn es dieses Etwas in Wirklichkeit gar nicht gab. In London fand er nach Mitternacht in einem düsteren Laden seine Vampirkleidung.
Mantel und Hose und glänzende Lackschuhe; ein Hemd so steif wie Pergament und eine weiße Seidenkrawatte. Und der schwarze, in weißem Satin eingefaßte Samtumhang reichte bis zum Boden und war schlichtweg atemberaubend. Er drehte sich vor den Spiegeln. Der Vampir Lestat hätte ihn beneidet. Und er, Khayman, war kein Mensch, der vorgab, ein Vampir zu sein; er war echt. Zum erstenmal kämmte er sein volles schwarzes Haar. Er trieb Parfüms und Salben auf und rieb sich angemessen ein für einen großen Abend. Und er besorgte sich Ringe und goldene Manschettenknöpfe.
Jetzt war er schön wie vor Urzeiten einst in anderen Gewändern. Und sofort zog er in den Straßen Londons bewundernde Blicke auf sich! Er hatte das Richtige getan. Die Leute folgten ihm, während er lächelnd und sich verbeugend des Wegs kam. Sogar das Töten fiel jetzt leichter. Das Opfer starrte ihn wie eine Erscheinung an, als würde es verstehen. Er beugte sich vor - wie es der Vampir Lestat in seinen Fernsehsongs tat -, um zuerst ganz sanft vom Hals seines Opfers zu trinken, bevor er es zerfetzte.
Natürlich war das alles ein Witz. Etwas furchtbar Banales haftete dem Ganzen an. Es hatte nichts mit dem finsteren Geheimnis eines wahren Blutsaugers zu tun, nichts mit den fernen Dingen, die sich manchmal in sein Gedächtnis schlichen und die er sofort wieder aus seinem Kopf verjagte. Dennoch machte es dann Spaß, »jemand« und
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