Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
als wäre ihm der Schneesturm völlig egal. Jetzt war es auch im Eßzimmer kalt, weil ich hier die Tür aufgelassen hatte; ja, als ich wieder die Treppe hinaufhastete, merkte ich, daß mein kleiner Ausflug in die Küche die Temperatur im ganzen Haus gesenkt hatte. Ich mußte daran denken, stets die Türen hinter mir zu schließen.
Ich ging in das erste der unbenutzten Zimmer, wo ich das Geld im Kamin versteckt hatte. Als ich hineingriff, ertastete ich aber nicht den Umschlag, den ich dort festgeklemmt hatte, sondern ein einzelnes Blatt Papier. Ich zog es heraus; ich war schon wütend, bevor ich das Licht eingeschaltet und die Worte gelesen hatte.
Sie sind wirklich ein Trottel, wenn Sie glauben, ein Mann mit meinen Fähigkeiten würde Ihr kleines Geheimversteck nicht finden. Man braucht kein Vampir zu sein, um ein bißchen verräterische Feuchtigkeit auf dem Boden und an der Wand zu entdecken. Wünsche ein angenehmes Abenteuer. Wir sehen uns Freitag. Geben Sie auf sich acht!
Raglan James.
Einen Moment lang war ich so wütend, daß ich mich nicht rühren konnte. Ich kochte. Meine Hände waren zu Fäusten geballt. »Du mieser kleiner Gauner!« sagte ich mit meiner jämmerlichen, schwerfälligen, undurchsichtigen, spröden Stimme.
Ich ging ins Bad. Natürlich steckte auch hier mein Geld nicht mehr hinter dem Spiegel. Da war nur wieder ein Zettel.
Was wäre das menschliche Leben ohne Schwierigkeiten? Sie müssen einsehen, daß ich solchen kleinen Entdeckungen nicht widerstehen kann. Es ist, als wollten Sie Weinflaschen herumstehen lassen, wenn ein Alkoholiker im Haus ist. Wir sehen uns Freitag. Bitte, bewegen Sie sich vorsichtig auf den vereisten Gehwegen. Wir wollen ja nicht, daß Sie sich ein Bein brechen.
Bevor ich mich beherrschen konnte, hatte ich die Faust in den Spiegel geschlagen. Ach ja - ein Segen immerhin: kein großes, klaffendes Loch in der Wand, wie es jetzt dagewesen wäre, wenn Lestat le Vampire so etwas getan hätte. Nur eine Menge zerbrochenes Glas. Und Pech, sieben Jahre Pech!
Ich wandte mich ab, ging die Treppe hinunter und noch einmal in die Küche; diesmal aber schloß ich die Tür hinter mir und machte dann den Kühlschrank auf. Es war nichts drinnen! Nichts!
Ah, dieser kleine Teufel, was würde ich nicht alles mit ihm anstellen! Wie konnte er sich einbilden, daß er damit durchkommen würde? Dachte er vielleicht, ich sei außerstande, ihm zwanzig Millionen Dollar zu zahlen und ihm dann den Hals umzudrehen? Was um alles in der Welt dachte er sich überhaupt…?
Hmmm.
War es denn wirklich so schwer, diese Frage zu beantworten? Er würde nicht zurückkommen, nicht wahr? Nein, natürlich nicht.
Ich ging zurück ins Eßzimmer. In der Glasvitrine war kein Silber und kein Porzellan. Aber gestern abend war ganz sicher beides noch dagewesen. Ich ging in den Flur. Keine Bilder an den Wänden. Ich schaute ins Wohnzimmer. Kein Picasso, kein Jasper Johns, kein de Kooning, kein Warhol. Alles weg. Sogar die Fotos von den Schiffen waren weg.
Die chinesischen Figuren waren weg. Die Bücherregale waren halb leer. Und die Teppiche - nur noch ganz wenige waren da, einer davon im Eßzimmer, wo es mich fast das Leben gekostet hätte. Und einer am Fuße der Treppe.
Das Haus war aller wirklichen Wertsachen beraubt! Ja, die Hälfte der Möbel war verschwunden! Der kleine Dreckskerl hatte nicht vor wiederzukommen. Es hatte nie zu seinem Plan gehört.
Ich setzte mich neben der Tür in einen Sessel. Mojo war mir treu hinterher getrottet und nutzte jetzt die Gelegenheit, sich zu meinen Füßen auszustrecken. Ich wühlte meine Hand in sein Fell, zog daran und strich es wieder glatt, und ich dachte, was für ein Trost es doch war, daß der Hund hier war.
Natürlich war James ein Dummkopf, wenn er so ein Ding drehte. Glaubte er denn, ich könnte nicht die anderen rufen?
Hmmm. Die anderen zu Hilfe rufen - was für ein absolut grausiger Gedanke. Man brauchte keine ausgeprägte Fantasie zu haben, um sich vorzustellen, was Marius sagen würde, wenn ich ihm erzählte, was ich getan hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach wußte er es schon und war von glühender Mißbilligung erfüllt. Was die Älteren anging, so schauderte mich bei dem bloßen Gedanken an sie. Wie man es auch betrachtete, am besten hoffte ich darauf, daß der Körpertausch unbemerkt bleiben würde. Das war mir von Anfang an klar gewesen.
Der entscheidende Punkt war, daß James nicht wußte, wie wütend die anderen wegen dieses
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