Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
diesen neuen Körper zu lenken, der voll von ungewohnten Schwächen und Empfindungen war - schmerzhaft kalte Füße hatte ich zum Beispiel, nasse Füße in der Zugluft, die am Fußboden dahinstrich -, und ich beging verständliche, aber dumme Fehler. Hätte die Galoschen mitnehmen sollen. Hätte mir ein Telefon suchen und meinen Agenten in Paris anrufen sollen, bevor ich hergekommen war. Nicht argumentieren und mich störrisch benehmen, als wäre ich ein Vampir, während ich keiner mehr war.
Die Temperatur dieser dampfenden Speise hätte natürlich nicht ausgereicht, um mir meine Vampirhaut zu verbrennen. Aber ich steckte nicht mehr in meiner Vampirhaut. Und deshalb hätte ich auch die Galoschen mitnehmen sollen’. Nachdenken!
Die Wahrheit war, ich hatte mir Genüsse vorgestellt, eine Vielfalt von Genüssen: Essen, Trinken, eine Frau in meinem Bett, dann ein Mann. Aber nichts von dem, was ich bis jetzt erlebt hatte, war auch nur im entferntesten ein Genuß gewesen.
Nun, die Schuld an dieser schmählichen Situation trug nur ich selbst, und nur ich konnte sie ändern. Ich wischte mir den Mund mit der Serviette ab, einem rauhen Stück Kunstfaserstoff, so saugfähig wie ein Fetzen Öltuch, und dann nahm ich das Weinglas und trank es wieder leer. Eine Woge von Übelkeit ging über mich hinweg. Meine Kehle zog sich zusammen, und mir wurde sogar schwindelig. Gütiger Himmel, drei Gläser, und ich war schon betrunken?
Wieder hob ich die Gabel. Der klebrige Klumpen war jetzt kühler, und ich schaufelte mir etwas davon in den Mund. Fast wäre ich daran erstickt! Meine Kehle zog sich krampfartig zusammen, als wolle sie verhindern, daß das schleimige Knäuel mich erwürgte. Ich mußte innehalten, langsam durch die Nase atmen und mir selbst immer wieder sagen, daß dies kein Gift war und daß ich kein Vampir war, und dann mußte ich das Zeug vorsichtig kauen, um mir nicht auf die Zunge zu beißen.
Aber ich hatte mir schon auf die Zunge gebissen, und jetzt fing die kleine Wunde an, weh zu tun. Der Schmerz füllte meinen Mund aus und war viel stärker wahrnehmbar als der Geschmack des Essens. Trotzdem kaute ich weiter auf den Spaghetti herum und fing an, über ihre Geschmacksarmut nachzudenken, ihre Säuerlichkeit, ihre Salzigkeit, ihre allgemeine scheußliche Konsistenz, und dann schluckte ich sie hinunter. Wieder empfand ich ein schmerzliches Zusammenziehen im Schlund, und dann drückte mich ein harter Knoten weiter unten in der Brust.
Also, wenn Louis das durchmachen müßte - wenn du der alte, selbstgefällige Vampir wärest und ihm gegenübersäßest und zuschautest; Du würdest ihn verdammen für alles, was er da täte und dächte; seine Furchtsamkeit würde dich mit Abscheu erfüllen und wie er diese Erfahrung vergeudete und wie er es versäumte, irgend etwas wahrzunehmen.
Wieder hob ich die Gabel. Ich kaute noch einen Mundvoll, schluckte. Na ja, ein gewisser Geschmack war vorhanden. Es war bloß nicht der scharfe, köstliche Geschmack von Blut. Es war viel zahmer, körniger, klebriger. Okay, noch einen Mundvoll. Du könntest auf den Geschmack kommen. Außerdem - vielleicht ist es ja einfach kein gutes Essen. Noch einen Mundvoll.
»Hey, langsam«, sagte die hübsche Frau. Sie lehnte sich an mich, aber ich spürte ihre saftige Weichheit nicht durch meinen Mantel. Ich drehte mich um und schaute ihr in die Augen, und ich bestaunte ihre langen, geschwungenen schwarzen Wimpern und wie süß ihr Mund aussah, als sie lächelte. »Sie essen zu schnell.«
»Ich weiß. Bin ziemlich hungrig«, sagte ich. »Hören Sie, ich weiß, es klingt schrecklich undankbar. Aber haben Sie etwas, das keine dicke, verquollene Masse ist wie das hier? Sie wissen schon, etwas Festeres… Fleisch vielleicht?«
Sie lachte. »Sie sind ein recht merkwürdiger Mann«, sagte sie. »Woher kommen Sie wirklich?«
»Aus Frankreich, vom Land«, sagte ich. »Also gut. Ich bringe Ihnen etwas anderes«, sagte sie. Sobald sie gegangen war, trank ich noch ein Glas Wein. Mir wurde jetzt eindeutig schwindelig, aber ich verspürte auch eine Wärme, die irgendwie hübsch war. Außerdem hätte ich plötzlich gern gelacht, und ich wußte, daß ich zumindest ein bißchen betrunken war.
Ich beschloß, die anderen Menschen im Lokal zu studieren. Es war ein so unheimliches Gefühl, sie nicht zu wittern und ihre Gedanken nicht hören zu können. Eigentlich konnte ich nicht einmal ihre Stimmen hören, nur eine Menge Lärm und Geräusche. Und es war ein so
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