Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
unheimliches Gefühl, Wärme und Kälte zugleich zu empfinden; mein Kopf schwamm in der überheizten Luft des Raumes, und meine Füße froren in der Zugluft am Boden.
Die junge Frau setzte mir einen Teller Fleisch vor - Kalb, sagte sie. Ich nahm eine kleine Scheibe in die Hand, was sie in Erstaunen versetzte - ich hätte Messer und Gabel benutzen sollen -, und als ich hineinbiß, fand ich es fast so fad wie die Spaghetti aber es war doch besser. Sauberer, fand ich. Ich kaute ziemlich lustvoll..
»Danke, Sie waren sehr gut zu mir«, sagte ich. »Sie sind ganz reizend, und ich bedaure meine schroffen Worte von vorhin. Wirklich.«
Sie schien fasziniert zu sein, und natürlich spielte ich ihr auch etwas vor; ich stellte mich sanft, was ich nicht bin.
Sie verließ mich, um bei einem Paar, das gehen wollte, zu kassieren, und ich wandte mich wieder meinem Essen zu - meiner ersten Mahlzeit aus Sand und Leim und Lederstückchen voller Salz. Ich lachte vor mich hin. Noch Wein, dachte ich; es ist, als tränke man gar nichts, aber es wirkt doch.
Als sie den Teller weggetragen hatte, brachte sie mir noch eine Karaffe. Und ich saß mit nassen Schuhen und Socken kalt und unbehaglich auf meinem Hocker, versuchte im Dunkeln zu sehen und wurde immer betrunkener, während eine Stunde verging, und dann war sie bereit, nach Hause zu gehen.
Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich nicht behaglicher als zu Beginn dieses Abenteuers. Und kaum war ich vom Hocker geklettert, merkte ich auch schon, daß ich kaum noch gehen konnte. Ich hatte überhaupt kein Gefühl mehr in den Beinen; ich mußte hinunterschauen, um mich zu vergewissern, daß sie noch da waren.
Die hübsche Frau fand das sehr komisch. Ich war mir nicht so sicher. Sie half mir auf dem verschneiten Gehweg voran und rief Mojo, den sie mit mächtig respektvoller Betonung einfach »Hund« nannte, und versicherte mir, sie wohne nur »ein paar Schritte die Straße hinunter«. Das einzig Gute an der ganzen Sache war der Umstand, daß die Kälte mir nicht mehr soviel ausmachte.
Ich hatte wirklich kein Gleichgewicht mehr. Meine Glieder waren nun vollends so schwer wie Blei. Selbst hell beleuchtete Gegenstände waren jetzt unscharf. Ich hatte Kopfschmerzen und war sicher, daß ich hinfallen würde, ja, die Angst vor dem Fallen wurde zur Panik. Aber barmherzigerweise hatten wir bald ihre Haustür erreicht. Sie führte mich eine schmale, mit einem Teppichläufer belegte Treppe hinauf - ein Aufstieg, der mich so sehr anstrengte, daß ich Herzklopfen bekam und mein Gesicht feucht von Schweiß wurde. Ich sah fast nichts! Es war Wahnsinn. Ich hörte, wie sie den Schlüssel ins Schloß steckte.
Ein neuer, furchtbarer Gestank attackierte meine Nase. Das düstere kleine Apartment wirkte wie eine Höhle aus Preßpappe und Sperrholz; unauffällige, gedruckte Poster bedeckten die Wände. Aber was konnte das für ein Geruch sein? Unvermittelt erkannte ich, daß er von den Katzen kam, die sie hier hielt und die in einer Kiste mit Erde ihre Notdurft verrichteten. Ich sah die Kiste voller Katzenexkremente auf dem Boden in ihrem kleinen Badezimmer, und ich dachte wirklich, jetzt sei alles vorbei und ich würde sterben! Stocksteif stand ich da und bemühte mich, nicht zu kotzen. Ein mahlender Schmerz erwachte in meinem Bauch, nicht Hunger diesmal, und mein Gürtel fühlte sich zu eng an.
Der Schmerz wurde schneidender. Ich begriff plötzlich, daß ich die gleiche Aufgabe zu erfüllen hatte, wie sie die Katzen bereits erfüllt hatten. Und ich mußte es sofort tun, oder ich würde mich in eine schmähliche Lage bringen. Und dazu mußte ich in diesen Raum hineingehen. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
»Was ist?« fragte sie. »Ist Ihnen schlecht?«
»Darf ich diesen Raum benutzen?« fragte ich und deutete auf die offene Tür.
»Natürlich«, sagte sie. »Bitte sehr.«
Mindestens zehn Minuten vergingen, bevor ich wieder herauskam. Ich empfand einen so überwältigenden Ekel vor dem Prozeß der Ausscheidung - dem Geruch, dem Gefühl, dem Anblick -, daß ich nicht sprechen konnte. Aber es war getan, erledigt. Nur die Trunkenheit war noch da, die würdelose Erfahrung, nach einem Lichtschalter zu greifen und ihn zu verfehlen, den Türknopf drehen zu wollen und die Hand - diese große, dunkle Hand - danebengehen zu sehen.
Ich fand das Schlafzimmer; es war sehr warm und vollgestopft mit mittelmäßigen, modernen Möbeln aus billigem Laminat ohne besonderen Stil.
Die junge Frau saß splitternackt auf der
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