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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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ich in den alten Kleidern gefunden hatte.
    Dann ging ich hinaus auf die Veranda und blieb regungslos in der süßen, liebkosenden Brise stehen, und mein Blick schweifte träumerisch über das tiefblau leuchtende Meer.
    Die Quem Elizabeth 2 donnerte inzwischen mit ihren berühmten achtundzwanzig Knoten dahin, und die hellen, durchscheinenden Wogen krachten gegen ihren mächtigen Bug. Die Insel Barbados war nicht mehr zu sehen. Ich blickte hinauf zu dem großen schwarzen Schlot, der in seiner ganzen Riesenhaftigkeit aussah wie der Schlot der Hölle. Es war ein prächtiger Anblick, wie der graue Rauch dort oben in dicken grauen Wolken hervorquoll, die sich zurückbogen und im unablässig wehenden Wind bis aufs Wasser hinuntergedrückt wurden.
    Ich schaute wieder zum fernen Horizont. Die ganze Welt war von zartem, wunderbar azurblauem Himmel erfüllt. Hinter einem feinen Dunst, den Sterbliche nicht hätten wahrnehmen können, sah ich winzige, funkelnde Sternbilder und Planeten, die düster leuchtend langsam vorüberzogen. Ich streckte meine Glieder und genoß es, sie zu fühlen, und auch die betörenden Wellen der Empfindungen, die über meine Schultern und meinen Rücken zogen. Ich schüttelte mich und spürte genußvoll mein Haar im Nacken, und dann stützte ich die Ellbogen auf die Reling.
    »Ich werde dich einholen, James«, flüsterte ich. »Dessen kannst du sicher sein. Aber vorher habe ich anderes zu tun. Einstweilen kannst du deine kleinen Pläne vergebens schmieden.«
    Langsam erhob ich mich in die Luft - so langsam, wie ich es nur konnte -, bis ich hoch über dem Schiff schwebte und darauf hinunterschaute; ich bewunderte die vielen übereinanderliegenden Decks, mit so vielen kleinen Lichtern besetzt. Wie festlich das aussah, wie unberührt von aller Sorge. Tapfer pflügte sich das Schiff durch die rollende See, stumm und stark, und es trug ein ganzes kleines Reich in sich, ein Reich von tanzenden und speisenden und plaudernden Wesen, geschäftigen Sicherheitsoffizieren und eiligen Stewards, von Hunderten und Aberhunderten glücklicher Kreaturen, die nicht ahnten, daß wir dagewesen waren, um sie mit unserem kleinen Drama zu beunruhigen, oder daß wir so schnell verschwunden waren, wie wir gekommen waren, und nur ein kleines bißchen Verwirrung in unserem Kielwasser zurückgelassen hatten. Friede sei der glücklichen Queen Elisabeth 2, dachte ich, und ich wußte, weshalb der Körperdieb sie geliebt und sich auf ihr verborgen hatte, so traurig und geschmacklos sie auch sein mochte.
    Was ist schließlich unsere ganze Welt für die Sterne dort oben? Was denken sie, fragte ich mich, über unseren winzigen Planeten, voll von irrwitzigen Konstellationen, Zufällen und endlosem Ringen, und über die zutiefst wahnsinnigen Zivilisationen, die sich auf seinem Antlitz ausbreiten, zusammengehalten nicht durch Willen oder Glauben oder gemeinsamen Ehrgeiz, sondern durch die träumerische Fähigkeit der Millionen auf Erden, die Tragödien des Lebens nicht wahrzunehmen und wieder und wieder im Glück zu versinken, wie die Passagiere des Schiffchens dort unten darin versanken - als wäre das Glück allen Wesen so natürlich gegeben wie der Hunger oder die Müdigkeit oder die Liebe zur Wärme und die Angst vor der Kälte.
    Höher und höher stieg ich empor, bis ich das Schiff nicht mehr sehen konnte. Wolken zogen über das Antlitz der Erde unter mir. Und über mir brannten die Sterne in ihrer ganzen kalten Majestät, und ausnahmsweise haßte ich sie nicht; nein, ich konnte sie nicht hassen, ich konnte gar nichts hassen, ich war zu sehr erfüllt von Freude und dunklem, bitterem Triumph. Ich war Lestat und trieb zwischen Himmel und Hölle dahin, und ich war damit zufrieden - vielleicht zum erstenmal.

Vierundzwanzig
    D er Regenwald von Südamerika - ein endloses, tiefes Gewirr von Wäldern und Dschungeln, das den Kontinent meilenweit bedeckt, Berghänge überzieht und tiefe Täler erfüllt, unterbrochen nur durch breite, glitzernde Flüsse und schimmernde Seen -, sanft und grün und üppig und scheinbar harmlos, wenn man ihn von hoch oben durch die wehenden Wolken sieht.
    Die Dunkelheit ist undurchdringlich, wenn man auf dem weichen, feuchten Boden steht. Die Bäume sind so hoch, daß über ihnen kein Himmel mehr ist. Tatsächlich ist die Schöpfung nichts als Kampf und Bedrohlichkeit in diesem tiefen, feuchten Dunkel. Sie ist der endgültige Triumph des Wilden Gartens, und alle Wissenschaftler der Zivilisation zusammen werden

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