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Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr

Titel: Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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niemals jede einzelne Spezies von buntgetupfte Schmetterlingen und gefleckten Katzen und fleischfressenden Fischen und gewundener Riesenschlange klassifizieren, die hier gedeihen.
    Vögel, deren Gefieder die Farbe des Sommerhimmels oder der lodernden Sonne hat, schwirren zwischen den nassen Zweigen dahin. Kreischende Affen greifen geschickt nach Lianen, so dick wie Hanftaue. Geschmeidige, unheimliche Säugetiere in tausend verschiedenen Formen und Größen kriechen auf ihrer unablässigen Suche nacheinander über ungeheure Wurzeln und halb vergrabenen Knollen hindurch, an den verwachsenen Stämmchen von Schößlingen hinauf, die in der stinkenden Finsternis sterben, während sie noch die letzte Nahrung aus der riechenden Erde saugen.
    Besinnungslos und von unendlicher Kraft ist der Kreislauf des Hungers und der Sättigung, des gewaltsamen und schmerzharten Todes. Reptilien mit Augen, so hart und blank wie Opale, schmausen in Ewigkeit am wimmelnden Universum starrer, knisternder Insekten, wie sie es seit jenen Tagen tun, da kein warmblütiges Wesen auf Erden wandelte. Und die Insekten - mit Flügeln und Fangzähnen, vollgepumpt mit tödlichem Gift, schwindelerregend in ihrer Scheußlichkeit und entsetzlichen Schönheit, jenseits von aller Verschlagenheit - verschlingen am Ende alles.
    Es gibt keine Barmherzigkeit in diesem Wald. Keine Barmherzigkeit, keine Gerechtigkeit, keine wohlgefällige Anbetung seiner Schönheit, keine leisen Freudenschreie im Angesicht der Schönheit des Regens. Selbst der schlaue kleine Affe ist im Grunde seines Herzens ein moralischer Idiot.
    Das heißt - alles das gab es nicht, bis der Mensch kam.
    Wie viele Jahrtausende das her ist, kann niemand genau sagen. Der Dschungel verschlingt seine Gebeine. Lautlos verschluckt er heilige Manuskripte und nagt an den härteren Steinen der Tempel. Stoffe, geflochtene Körbe, bemalte Töpfe, ja, Zierat aus gehämmertem Gold - das alles vergeht letzten Endes auf seiner Zunge.
    Aber die kleinwüchsigen, dunkelhäutigen Völker sind seit vielen Jahrhunderten da, das steht außer Frage; sie bauen ihre zerbrechlichen kleinen Dörfer aus Palmwedelhütten mit ihren qualmenden Kochfeuern; sie jagen das tödliche Wild, das im Überfluß vorhanden ist, mit ihren rohen Speeren und ihren mörderischen, in Gift getauchten Pfeilen. Hier und da errichten sie ordentliche kleine Farmen, wie sie es immer getan haben, und züchten dicke Yamswurzeln oder schwere grüne Avocados, rote Paprika und Mais, Unmengen von süßem, zartem, gelbem Mais. Kleine Hühner picken im Staub vor den kleinen sorgsam konstruierten Häusern. Fette, glänzende Schweine schnüffeln und wälzen sich in ihren Koben.
    Sind diese Menschen das Beste im Wilden Garten, wie sie schon so lange im Krieg miteinander liegen? Oder sind sie nur ein unterschiedsloser Teil davon, letzten Endes nicht komplexer als der kriechende Tausendfüßler oder der behende Jaguar mit dem seidigen Fell oder der stumme, großäugige Frosch, der so giftig ist, daß die bloße Berührung seines Rückens den sicheren Tod bedeutet?
    Was haben die vielen Hochhäuser der Großstadt Caracas mit dieser endlos ausgebreiteten Welt zu tun, die ihnen so nahe kommt? Woher kam diese südamerikanische Metropolis mit ihrem rauchverhangenen Himmel und den brodelnden Slums an den Hängen der Berge? Schönheit ist Schönheit, wo man sie findet. Und nachts sind sogar diese ranchitos, wie sie sie nennen - Tausende und Abertausende von Hütten auf den Steilhängen zu beiden Seiten der tosenden Autobahnen -, nachts sind sogar sie schön; sie haben zwar kein Wasser und keine Kanalisation, und sie sind über alle modernen Maßstäbe von Gesundheit und Komfort hinaus überbevölkert, aber sie sind von hell leuchtenden elektrischen Lichtern übersät.
    Manchmal scheint es, als könne das Licht alles verwandeln! Als sei es eine unbestreitbare und unumkehrbare Metapher für Gnade! Aber wissen das die Menschen in den ranchitos? Haben sie die Lichter um der Schönheit willen? Oder wollen sie bloß eine brauchbare Beleuchtung für ihre kleinen Hütten?
    Das ist unwichtig.
    Wir können nicht verhindern, daß wir Schönheit schaffen. Wir können nicht verhindern, daß die Welt sich dreht.
    Schau hinunter auf den Fluß, der an dem kleinen Vorposten St. Laurent vorüberfließt, ein Lichtband, das hier und da zwischen den Baumwipfeln aufschimmert, während es sich tiefer und immer tiefer in den Wald schlängelt und schließlich die kleine Mission von St.

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