Chronik der Vampire 04 - Nachtmahr
Margaret Mary erreicht - eine Ansammlung von Behausungen auf einer Lichtung im Dschungel, die dieser geduldig wartend umschließt. Ist sie nicht schön, diese kleine Schar von blechgedeckten Häusern mit ihren weißgekalkten Wänden und den rohbehauenen Kreuzen, mit den kleinen erleuchteten Fenstern und dem Klang eines einzelnen Radios, das ein dünnes Liedchen mit indianischem Text und fröhlichem Getrommel spielt?
Wie hübsch auch die breiten Veranden der kleinen Bungalows mit den buntbemalten Holzschaukeln hier und da, mit den Bänken und Stühlen. Die Fliegengitter vor den Fenstern geben den Zimmern eine sanfte, schläfrige Lieblichkeit, denn sie liegen wie ein zartes, enges Netz aus feinen Linien über den vielen Formen und Farben und machen sie sichtbarer und lebendiger, lassen sie absichtsvoll erscheinen - wie das Interieur auf einem Gemälde von Edward Hopper oder in einem bunten Kinderbilderbuch.
Natürlich gibt es eine Möglichkeit, das rasende Tempo der Schönheit zu stoppen. Sie hat etwas mit Reglementierung zu tun, mit Konformität, Fließbandästhetik und dem Triumph des Funktionalen über das Beliebige.
Aber davon wird man hier nicht viel finden!
Das hier ist Gretchens Bestimmung; alle Feinsinnigkeiten der modernen Welt sind hier eliminiert, und es ist ein Labor für ein einziges, sich endlos wiederholendes moralisches Experiment: Gutes tun.
Die Nacht singt ihr Lied von Chaos und Hunger und Zerstörung rings um dieses kleine Lager vergebens. Worauf es hier ankommt, das ist die Versorgung einer begrenzten Anzahl von Menschen, die hergekommen sind, um sich impfen und operieren zu lassen oder um Antibiotika zu bekommen. Wie Gretchen selbst gesagt hat: Der Gedanke an das große Ganze ist eine Lüge.
Stundenlang streifte ich in einem weiten Kreisbogen durch den dichten Dschungel; sorglos und stark drang ich durch undurchdringliches Laubwerk, kletterte ich über die hochgewölbten, fantastischen Wurzeln der Regenwaldbäume, stand ich hier und da still und lauschte dem tiefen, wirren Chor der wilden Nacht. Zart wuchsen nasse, wächserne Blumen in den höheren, grüneren Zweigen, schlummerten in der Verheißung des Morgenlichts.
Wieder war ich jenseits von aller Angst vor der nassen, bröselnden Häßlichkeit der Prozesse. Vor dem Gestank des Verfalls in den sumpfigen Mulden. Glitschige Geschöpfe konnten mir nichts anhaben und erweckten deshalb keinen Ekel. Mochte die Anakonda nur kommen: Zu gern würde ich ihre enge, rasch gleitende Umschlingung fühlen. Und wie ich die tiefen, schrillen Schreie der Vögel genoß, die doch sicher dazu gedacht waren, in schlichteren Herzen Entsetzen zu wecken. Zu schade, daß die kleinen Affen mit den haarigen Armen, jetzt, in den dunkelsten Stunden, schliefen, denn zu gern hätte ich sie festgehalten, lange genug, um Küsse auf ihre gerunzelten Stirnen oder ihre lippenlos schnatternden Münder zu drücken.
Und diese armen Sterblichen, die in den vielen kleinen Häusern auf der Lichtung schlummerten, nahe bei ihren säuberlich bebauten Feldern, der Schule, dem Hospital, der Kapelle: Sie schienen ein Wunder der Schöpfung zu sein, in jedem kleinen, gemeinen Detail.
Hmm. Ich vermißte Mojo. Warum war er nicht hier, warum streifte er nicht mit mir durch den Dschungel? Ich mußte ihn abrichten, damit er der Hund des Vampirs wurde. Ja, ich stellte mir vor, wie er während der Tageslichtstunden meinen Sarg bewachte - ein Wächter nach ägyptischer Art mit dem Befehl, jedem sterblichen Eindringling, der die Treppe hinunter ins Allerheiligste finden sollte, die Kehle durchzubeißen.
Aber ich würde ihn schon bald wiedersehen. Die ganze Welt wartete hinter diesem Dschungel. Wenn ich die Augen schloß und meinen Körper in einen empfindlichen Empfänger verwandelte, dann hörte ich über Meilen hinweg den dichten, lärmenden Verkehr in Caracas, ich hörte die schwere, stampfende Musik in den klimatisierten Höhlen, wo ich die Mörder anlockte wie eine helle Kerze die Motten, damit ich trinken konnte.
Hier regierte Frieden, während in sachter schnurrender tropischer Stille die Stunden verstrichen. Schimmernder Regen fiel aus dem tiefen Wolkenhimmel, klopfte den Staub auf der Lichtung fest, sprenkelte die sauber gefegten Stufen vor dem Schulhaus, trommelte sanft auf den Wellblechdächern.
Lichter erloschen in den kleinen Schlafräumen und in den äußeren Häusern. Nur eine mattrote Lampe flackerte tief im Innern der dunklen Kapelle mit dem kleinen Turm und der großen,
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